Permakultur

Geglückter Ideen-Import

Zu Besuch bei Paul Yeboah, dem Permakultur-Pionier in Ghana.von Sylvia Paglialonga, erschienen in Ausgabe #10/2011
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Von Anfang 2009 bis April 2011 begleitete ich meinen Lebensgefährten, der als Agrarökonom für ein Projekt der Entwicklungszusammenarbeit tätig ist, mehrfach nach Ghana. Insgesamt verbrachte ich fünf Monate in der Hauptstadt Accra, dem wirtschaftlichen Zentrum des Landes.
Dort bot sich mir zunächst ein apokalyptisches Bild: Verkehrskollaps, eine extrem hohe Bevölkerungsdichte und eine überdeutliche Kluft zwischen Arm und Reich wirkten abschreckend auf mich, ebenso wie die Wohnhäuser der Wohlhabenden, die von hohen Mauern, Stacheldraht und Elektrozäunen umringt sind und unter ständiger Bewachung stehen. Der Großteil der Bevölkerung lebt in einfachen Hütten und Behausungen, die ich angesichts des tropischen Klimas als menschenunwürdig empfand. Dazwischen ­toben »pralles Leben« und Existenzkampf. Straßenhändler verkaufen ihre Ware unter sengender Sonne an die Autofahrer, die stundenlang im Stau stehen. Der Küstenstreifen am Atlantik vervollständigte die Desillusionierung meines imaginären Bilds der Goldküste. Plastik, Mülltüten und anderer Unrat sind schon auf den Wellen sichtbar und werden ans Ufer gespült. Die Anwohner verbrennen ihren Müll offen am Strand. Dazwischen ist der archaisch anmutende, traditionelle Fischfang der Küstenbewohner zu beobachten. Diese ursprünglich nachhaltige Subsistenzwirtschaft ist aufgrund von Verschmutzung und Überfischung durch industriellen Fischfang einem bedrohlichen Wandel ausgesetzt.
Ghana gehört mit einem Pro-Kopf-Einkommen von jährlich 290 US-Dollar zu den ärmsten Ländern der Welt. Etwa 43 Prozent der ghanaischen Bevölkerung lebt in Armut. Überproportional ist davon die ländliche Bevölkerung betroffen. Das Kernproblem besteht darin, dass die landwirtschaftlichen Produzenten und sonstigen Akteure in der Verarbeitung und dem Handel von Agrarprodukten auf Inlands- und Exportmärkten nicht wettbewerbsfähig sind.
Unterwegs in verschiedenen Landesteilen hatte ich die Möglichkeit, Farmen, auch kommerzieller Art, zu besichtigen. Traditionell bauen die Landwirte in Mischkulturen bis hin zu einfachen Agroforstsystemen an. Diese Anbaumethode der Kleinbauern wird heute systematisch durch »moderne« Landwirtschaftsmethoden verdrängt. Die gegenwärtige Landwirtschaft bewegt sich flächendeckend in Richtung Agrarindustrie mit Mineraldüngung unter Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln. Biologischer Anbau ist die große Ausnahme.

Interkontinentale Beziehungen
Bei meinem letzten Aufenthalt im März 2011 wurde ich auf das Ghana Permaculture Institute aufmerksam, und so nahm ich Kontakt zu dessen Gründer und Leiter Paul Yeboah auf. Das Institut liegt in Techi­man in der Landesmitte, eine Tagesreise von Accra entfernt. Es gilt als Knotenpunkt im Permakultur-Netzwerk Ghanas.
Auf der Reise begleiten mich eine deutsche Bekannte sowie die beiden Ghanaer Nickolas, unser Nachbar, und Edouard, unser Fahrer mit Farmland. Die achtstündige Fahrt in die Region Brong Ahafo nutzen wir, um unser Wissen über Permakultur sowie Flora und Fauna im tropischen Klima auszutauschen. Die Region Brong Ahafo gilt als Kornkammer des Landes.
Mit Paul Yeboah treffen wir uns im Zentrum von Techiman. Mit seinem Motorrad führt er uns zu seinem Wohnhaus mit dem Seminar- und Büroraum des Ghana Permaculture Institute. In den vergangenen vier Wochen hatte es nicht geregnet, doch genau in dem Moment, als wir den Hof betreten, setzt ein tropischer Regenguss ein, und wir werden von Paul und seiner Familie als Glücksbringer begrüßt.
Unsere Vorstellungsrunde findet im Büro statt. Der kleine Raum ist mit einem PC-Arbeitsplatz sowie einem Bücher- und Dokumentenschrank ausgestattet. Auf einem Tisch ist eine kleine Auswahl der Produkte ausgestellt, die in der Region entwickelt, hergestellt und vom lokalen Permaculture Network Techiman vertrieben werden. An einer Pinnwand hängen Fotos zu Projekten und Aktivitäten des Instituts.
Interessant ist die Geschichte, wie Paul zur Permakultur kam: Er war landwirtschaftlicher Leiter des Benediktinerklosters »Kristo Buase Monastery«. Dessen 126 Hektar Land liegen im Distrikt Techi­man in einer Übergangszone zwischen Wald im Süden und Savanne im Norden. Im Jahr 2004 wurde der australische Permakulturdesign­er Greg Knibbs von der Klosterleitung eingeladen, vor Ort einen Designkurs durchzuführen, ausgerichtet für Mitarbeiter und Mönche des Klosters. Paul war Kursteilnehmer und half Greg Knibbs zugleich bei der Übersetzung in eine der Landessprachen sowie bei der Anpassung der Theorie an lokale landwirtschaftliche Verhältnisse. Diese Zusammenarbeit führte nicht nur zur Freundschaft zwischen den beiden, sondern auch zu einer neuen Zukunftsperspektive für Paul.
Zwei Jahre später gab Paul die ­Arbeit im Kloster auf, um, unterstützt von Greg Knibbs, als Manager von »Edge5 permaculture« und als Präsident des Ghana Permaculture Network zu arbeiten. Greg unterstützte das Netzwerk finanziell. »Edge5 permaculture« bietet Kurse und Beratung zu allen Permakulturthemen an. Die Organisation möchte Menschen, Gemeinden und Organisationen in Australien und den Entwicklungsländern erreichen.
Im Jahr 2007 trafen sich Greg und Paul abermals, um einen weiteren Permakultur-Designkurs durchzuführen. Die Zahl von fast vierzig Teilnehmern – Landwirte und interessierte Menschen aus der Region – zeigte, wie groß das Interesse und der Bedarf an Information und Bildung war. Danach entschied sich Greg für neuerliches finanzielles Engagement vor Ort. Mit seiner Hilfe wurde dem Permakultur-Netzwerk ein 4,2 Hektar großes Stück Land in Techiman zur Verfügung gestellt, um dort Demonstra­tionsflächen einzurichten. Hier sollen auswärtige und ortsansässige Menschen die Möglichkeit bekommen, Permakultur kennenzulernen und zu praktizieren.
Ein Jahr später initiierte Paul das »Permaculture Moringa Project«. Im Rahmen dieser Kooperative wurde Meerrettichbaum-Saatgut (Moringa oleifera) an 3000 Landwirte in 300 Gemeinden verteilt. Workshops unterstützten die Aktion. Der ursprünglich aus der Himalaja-Region stammende Baum wird aufgrund seiner vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten in den Tropen weltweit angebaut. Als Pioniergehölz wächst er auch auf degradierten Böden und trägt zur Bodenverbesserung bei. Unter anderem können seine jungen Früchte wie Bohnen gegessen werden, was hilft, die Ernährungssituation zu verbessern. Aus den Samen lässt sich eines der besten Pflanzenöle pressen, und getrocknet und pulverisiert wird der Samen zur Aufbereitung von Trinkwasser verwendet.
Nach weiteren Permakultur-Kursen sind es mittlerweile 5000 Landwirte, die nun auf fast 3000 Hektar Land Moringa in Reihenmischkultur (alley cropping) anbauen. Dabei wechseln sich die in Alleen gepflanzten Bäume mit Feldstreifen ab. Die Ernte wird gemeinschaftlich verarbeitet und vermarktet. Hergestellt werden daraus zum Beispiel Moringacreme und -seife. Informiert werden die Landwirte auch über die Anwendung von Neembaum-Öl und Neem-Kuchen (dem Rückstand aus der Ölpressung) zum Pflanzenschutz, zur Verbesserung der Bodenfruchtbarkeit und zur Nematodenabwehr.
Die Erfolgsgeschichte des Moringa-Projekts sowie andere Aktivitäten können wir anhand von Bildmaterial auf einer Pinnwand nachvollziehen.

Viel Potenzial
Zahlreiche weitere Projekte hat Paul seit seiner ersten Begegnung mit Permakultur initiiert und begleitet. Darunter sind die Entwicklung kommunaler Baumschulen und Baumpflanzungen. So konnten zum Beispiel auch für die »One Billion Tree«-Kampagne der UNEP, die die weltweite Pflanzung von mindestens einer Milliarde Bäume pro Jahr zum Ziel hat, Baumsetzlinge geliefert werden.
Zu den lokalen Schulen wurden Kontakte aufgebaut, so dass die Kinder heute Unterricht in Permakultur bekommen. Sie gärtnern in der Schule und lernen Baumschulen und Baumpflanzungen kennen. Außerdem wird dort kompostiert, der Schutz vor Bodenerosion vorangetrieben und sogar der Aufbau von Brieffreundschaften zwischen Schülern aus Ghana und Australien gefördert.
In Zukunft wollen Paul und die anderen Aktiven im Permakultur-Netzwerk Ghana die bisherigen positiven Aktionen zur Wiederherstellung der Bodenfruchtbarkeit und der Verbesserung der Lebensbedingungen weiterführen und ausdehnen. Ein großes Ziel ist der Kauf von Land, um eine Permakultur-Farm zu etablieren. Außerdem sollen Klassenräume und Übernachtungsmöglichkeiten geschaffen werden, so dass ein großes Forschungs- und Demonstrations­gelände für Permakultur-Techniken entsteht.

Everything is food!
Draußen hat es aufgehört, zu regnen, und bis zum Sonnenuntergang wollen wir noch einige Demonstrationsflächen besichtigen. Erste Beispiele finden wir gleich im Hof. Wohnhaus und Gelände sind von einer übermannshohen Mauer umschlossen, wie sie für Neubausiedlungen landestypisch sind. Der schmale Streifen entlang der Mauern ist als essbarer Garten einschließlich einer Kompostkuhle gestaltet. Eine Vielfalt an Obstbäumen, Leguminosen, Kohl, Blattgemüse, Vertikalbepflanzung wie Reben und Ashanti-Pfeffer sind in den Beeten angebaut. Für uns ergibt dies ein aufschlussreiches Gesamtbild eines Permakultur-Hausgartens. Edouard und Nickolas sind begeistert: »Everything is food!«
Zur nächsten Station fahren wir ein Stück aus der Stadt hinaus. Hier, im Permakulturgelände, wachsen in Baumschulen unzählige Baumsetzlinge, unter anderen von Neem, Moringa, Kakao, Mango, Papaya und Cashew. Auf dem Gelände befinden sich zudem eine kleine Hühnerfarm und eine Zucht essbarer Schnecken. Daneben ist ein kleiner essbarer Wald mit Beispielen verschiedener Beetformen, wie Schlüsselloch- und Mandalabeete, angelegt. Besonders beeindrucken mich die Pilzzucht und die Beschreibung des ganzen Prozesses vom Sterilisiervorgang des Substrats aus Sägespänen über die Impfung mit Myzel, die Aufzucht unter kontrollierten klimatischen Bedingungen bis zum erntereifen ­Austernpilz.
Nach kurzer Weiterfahrt kommen wir zu einem Waldstück, in dem vor zwei Jahren auf etwa einem Hektar Land ein essbarer Wald angelegt wurde. In Reihen wachsen hier Moringa und Kochbanane (Plantan). Dazwischen sind Leguminosenbäume zur Stickstoffsammlung und als Mulchmatrial gesetzt. Am Boden wurden kleine Erdhügel geformt, in deren Zentren Maniok (Cassava) angebaut und rings­herum Gemüse in Mischkultur hinzugesät wird. Außerdem gibt es Reihen von Ananaspflanzen, Bananenstauden und Papayas. Paul erläutert uns den Zusammenhang der Pflanzengemeinschaften sowie die Maßnahmen zur Verbesserung der Bodenfruchtbarkeit wie etwa das Mulchen mit Blatt- und Astmaterial.
Es ist eine noch recht junge Anlage, doch kann man sich den Erntesegen bei diesem fruchtbaren Boden und den schön gewachsenen Kulturen schon gut vorstellen.
Die tropischen Nächte beginnen in Ghana das ganze Jahr über ab 18 Uhr, und so sollte die Dunkelheit unserer Besichtigungstour an diesem Tag ein Ende setzen. Am nächsten Tag führt uns Paul noch zum »Abrono Organic Farming Project«, das er als Berater begleitet. Der Direktor der Farm zeigt uns unter anderem das Regenwasserauffangsystem. In Tanks aus Plastik wird das Regenwasser von der Dachfläche des Projektgebäudes gesammelt. Der Schwerkraft folgend, läuft es in Schläuchen zum Gemüseanbau und in die Baumschulen, wo es per Tröpfchenbewässerung genutzt wird.
Als letzte Station besichtigen wir ein Schulgelände in Techiman. Dort wurde unter anderem Vetiver-Gras als Erosionsschutz angepflanzt. Dieses tropische Gras bildet dichte, sehr tiefreichende Wurzelgeflechte aus und kann so den Boden am Ort halten.
Gern hätte Paul uns noch andere Projekte gezeigt doch leider müssen wir zurückreisen. In seiner liebenswürdigen Art hat er unermüdlich unsere Fragen beantwortet. Begrenzungen bei dieser schönen, informativen Begegnung waren die viel zu kurz angesetzte Zeit sowie die sprachliche Barriere – Pauls Englisch ist perfekt, unseres dagegen weniger. Seine Geduld und sein Einfühlungsvermögen im Dialog waren bewundernswert. Nach allem, was ich gehört und gesehen habe, erkenne ich in Paul, in seiner Arbeit und seinem Engagement einen Hoffnungsträger und Multiplikator für Permakultur und biologischen Landbau in den Tropen, in Ghana, Afrika und im weltweiten Netzwerk. Sogar Deutschland hatte Paul schon besucht: Als Vertreter Afrikas nahm er an einer Konferenz für Eco-Villages im Ökodorf Sieben Linden teil.
Dankbar verabschieden wir uns von Paul Yeboah und seiner Familie. Ich frage unseren Nachbarn Nickolas aus der Hauptstadt Accra, welchen Eindruck er von Permakultur generell und von Pauls Wirken im Besonderen gewonnen hat. Er antwortet: »Just amazing!«. Dem können wir wahrlich nichts hinzufügen. 


Sylvia Paglialonga (55) ist Permakultur-Designerin und lebt in Rosenfeld/Baden-Württemberg. Sie entwickelt ­Permakultur-Projekte im gärtnerischen Bereich und arbeitet konzeptionell an Beiträgen zur Regionalentwicklung.

Ins tropische Permakultuparadies surfen
http://permacultureghana.wordpress.com
www.edge5.com.au

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