Ist es wieder so weit, dass sich eine Kultur, diesmal über den ganzen Globus ausgebreitet, den Boden unter den Füßen wegpflügt? Die Geschichte zeigt: Zu allen Zeiten, auf allen Kontinenten ist das geschehen und hat zu Kämpfen um Land geführt, wie sie auch heute stattfinden. Was tun?von Petra Steinberger, erschienen in Ausgabe #12/2012
Der Sturm war schuld. Die Erde war schuld. Am 8. April vergangenen Jahres rasten auf der A 19 bei Rostock 82 Fahrzeuge ineinander, acht Menschen starben bei der Massenkarambolage. Der Deutsche Wetterdienst erklärte, dass »Sandstürme in dieser Jahreszeit und in diesem Gebiet keine Seltenheit« seien, und nannte als Ursache neben Dürre und hohen Windgeschwindigkeiten die »fehlende Vegetation«. Und: das Pflügen. Es fehlten die Hecken, um die riesigen Felder abzugrenzen, sagten Umweltschützer. Aber Felder müssen doch vor der Aussaat gepflügt werden, antworteten die Güstrower Bauern, es dauere nun mal, bis etwas wachse; und die Feldgröße von 1000 mal 400 Metern sei doch ganz normal. Das ist sie auch, allerdings nur in Ostdeutschland. Nicht nur Sturm und Erde – sondern auch Menschenwerk und Menschenunwissen waren wohl schuld an diesem Unfall. Als in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts die schweren Stürme über den Mittleren Westen Amerikas hinwegfegten, die fruchtbarste Erde der Welt in alle Himmelsrichtungen zerstreuten und mehr als drei Millionen Menschen zur Flucht aus ihrer Heimat zwangen, war das kein »natürliches« Ereignis. Seit 1860 hatten Siedler mit immer moderneren, immer tiefer in die Erde dringenden Pflügen und immer schwereren Landmaschinen den fruchtbaren Lössboden aufgebrochen. US-Studien zeigten schon damals, dass vor allem diese falsche Bewirtschaftung des Landes dazu beigetragen hatte, ein fragiles Ökosystem zu verwüsten, das zuvor Hunderttausende, ja Millionen von Jahren von einer dicken Grasnarbe geschützt worden war. Innerhalb weniger Jahrzehnte war ein Großteil der kostbaren Oberflächenerde verschwunden. Die berüchtigte »Dust Bowl« (wörtlich: »Staubschüssel«) war selbstverschuldet. Dass wir die Erde unter unseren Füßen verlieren und dass wir die, die wir noch haben, oftmals überfüttern und auslaugen, ist zumindest in Fachkreisen schon recht lange bekannt. Dort weiß man auch, was man dagegen tun müsste. Manchmal wird dieses Wissen sogar angewandt – zögerlich, oft nach Schockereignissen wie der Dust Bowl. Oft aber passiert gar nichts. »Man kann es als Notstand, Gier und Ignoranz zusammenfassen«, sagt Andrew Campbell, Umweltforscher an der Universität im australischen Darwin. »Manchmal entsteht die Belastung, wenn Menschen keine andere Wahl haben. Aber manchmal sind es auch die Weltmärkte, die nach bestimmten Produkten verlangen, also versuchen die Landwirte, dieses Verlangen zu erfüllen. Land wird gerodet, das nicht gerodet werden sollte, und beweidet, wenn es nicht beweidet werden sollte.« Geologen und Umweltagronomen wie Campbell warnen vor immer gleichen Fehlern: Falsche Bewässerung schädigt die Erde, Pflügen schädigt die Erde, Monokulturen laugen sie aus. Und doch wird weitergemacht. Mit immer mehr Einsatz wird proportional immer weniger produziert. Die Getreideernte pro Hektar hat sich seit 1950 zwar verdreifacht; aber seit einiger Zeit ist das einst durch die Grüne Revolution und die petrochemische Industrie befeuerte Wachstum praktisch zum Stillstand gekommen. Auch mit noch so gewaltigen Mengen an Phosphat, Stickstoff und Kalium lässt sich irgendwann nicht noch einmal eine Einheit mehr herausholen aus dem erschöpften Boden. Um mit dem Wachstum der Weltbevölkerung mitzuhalten, werden wir in den nächsten 50 Jahren mehr Nahrung produzieren müssen als in den gesamten 10 000 Jahren zuvor. Doch immer größere Flächen sind inzwischen nicht mehr für Getreideanbau oder Viehhaltung geeignet. Und der Klimawandel mit seinen Begleiterscheinungen wie Starkregen und immer häufigeren, immer heftigeren Stürmen lässt die Erosion noch dramatischer voranschreiten. Dabei haben wir nur diesen einen Boden. Ist er einmal weg, braucht es Tausende von Jahren, um die notwendige Krumentiefe für eine einigermaßen ertragreiche Bewirtschaftung wieder zu generieren.
Vom Löwenzahn Der Löwenzahn ist eine hübsche gelbe Blume, die man überall in Mitteleuropa und Nordamerika findet. Er wächst massenweise auf den sanften Hügeln des Voralpenlands. Die Wiesen sind im Frühling von ihm übersäht. Eigentlich wächst zwischen Gras und Löwenzahn nicht viel anderes. Und das hat einen Grund. Löwenzahn ist sehr genügsam. Aber wenn er Nahrung bekommt, etwa immer mehr Dünger, kennt er kein Halten mehr. Wo viel Löwenzahn wächst, sind die Wiesen überdüngt. Oft wird nur selten, dann aber viel gedüngt; der überflüssige Dünger gelangt ins Grundwasser. Der erhöhte Nitratgehalt begünstigt bestimmte Einzeller und unangenehme Bakterien. Der erhöhte Salzgehalt tötet Krebse, Muscheln, kleine Fische. Der schlimmste Artenkiller Mitteleuropas, so der Zoologe und Ökologe Joseph Reichholf, sei die Landwirtschaft. Das Voralpenland oder österreichische Täler wie das Zillertal sind, in großen Teilen, ein vorgetäuschtes Idyll, eine ökologische Katastrophe. Und nicht nur sie. Die ausgeschwemmten Düngemittel der Felder entlang des Mississippi haben sein Delta in eine »Dead Zone«, ein biologisch totes Gebiet, verwandelt. Ebenso wie die Küstengewässer der Ostsee. Und anderswo. Das Ökosystem ist durch Überdüngung zerstört. Der Regen spült die Erde von den Feldern, wo sie nicht mehr durch Gras, Sträucher, Gestrüpp gehalten wird. Im Boden verwandelt sich das angereicherte Nitrat in Lachgas, welches das etwa 300-fache Treibhausgas-Potenzial von CO2 entwickelt. Auch mineralisches Phosphat, jener zweite Grundstein des Lebens, wird knapp. Davor hat kürzlich das Magazin »Foreign Policy« gewarnt: In 30 bis 40 Jahren wird nicht mehr genug Phosphat aus den Minen geholt werden, um den Bedarf vor allem der weltweiten Landwirtschaft zu decken. Der Löwenzahn ist ein gutes Beispiel dafür, wie ein Idyll die Folgen der modernen Landwirtschaft überdeckt. Um die erodierte Krume zu ersetzen, braucht die industrielle Agrarwirtschaft immer mehr chemischen Dünger – der irgendwann zu Ende gehen wird, da er aus endlichen Ressourcen wie Öl oder Gas gewonnen wird; und man verwendet immer schwerere Maschinen, die immer schneller pflügen – und damit das Ausmaß der Erosion vergrößern.
Aus der Vergangenheit nicht lernen Immer wieder sind im Verlauf der Menschheitsgeschichte Hochkulturen an den Folgen von Erosion und Bodenermüdung untergegangen. Die Sumerer in Mesopotamien versalzten 4000 v. Chr. durch Überwässerung und Dammbauten ihre Böden. Die Maya-Hochkultur endete kläglich in einer Dürre, nachdem die Urwaldböden ausgelaugt waren. Die Stämme der Mesa-Plateaus im Südwesten der USA verschwanden, als es zu trocken wurde. Dazugelernt wurde wenig. Wissenschaftler schätzen, dass unsere fruchtbare Erdhülle inzwischen durch menschliche Eingriffe zehn- bis vierzigmal schneller weggespült und -geweht wird, als sie sich durch Felserosion und organische Zusätze neu bilden kann. Jährlich verschwinden so bis zu zehn Millionen Hektar, eine Fläche von der Größe Islands. Das Millennium Ecosystem Assessment der Vereinten Nationen zählt »Land Degradation«, die Verschlechterung des Bodens, zu den größten Umweltherausforderungen der Erde. Und die Hauptschuld für die menschengemachte Erosion trägt der Pflug. Rund 47 Prozent des landwirtschaftlich nutzbaren Landes weltweit ist gefährdet. Zu den am schlimmsten betroffenen Regionen gehört Mittelamerika, wo drei Viertel des Landes als unfruchtbar gelten. In Ägypten sind 30 bis 40 Prozent der Böden verloren, im Irak 50, in den USA 20 bis 25 Prozent. In Europa liegt die Erosionsrate zwar unter dem Durchschnitt, doch auf landwirtschaftlich intensiv genutzten Flächen werden in Deutschland bis zu 20 Tonnen Boden pro Hektar Ackerfläche im Jahr abgetragen. Das entspricht 55 Kilogramm pro Hektar Bodenabtrag täglich. Verlust, Verlust. Nichts anderes bedeutet Erosion. Wir leben wieder einmal über unsere Verhältnisse. Es gehen jene Kulturen unter, argumentiert der Evolutionsbiologe Jared Diamond, die nicht bereit sind, sich mit den vorhandenen Ressourcen zu arrangieren, sich also mit dem zu begnügen, was schon da ist. Bewahrung. Nichts anderes bedeutet Nachhaltigkeit.
Agroimperialismus Kurzfristig scheinen sich die reichen Staaten und Konzerne – also wir – eine auf den ersten Blick einfache Antwort auf Erosion oder Überdüngung der heimischen Böden gesucht zu haben. Die industrialisierte Landwirtschaft bleibt, wie sie ist, nur verlagert man ihre Produktion in die sogenannte Dritte Welt. Aber es geht längst nicht mehr um den Import von dort erzeugten Lebensmitteln. Man eignet sich das landwirtschaftliche Nutzland ganz an. Provinzregierungen investieren, Staaten, Banken, Investmentfonds. Sie beteiligen sich an dieser neuen Art von globalem Geschäft, das fatal an den Kolonialismus des 19. Jahrhunderts erinnert. Sie holen sich Land dort, wo sie es kriegen können. Und sie bauen an, was am meisten – und lukrativsten – nachgefragt wird: Nahrungsmittel für den reichen Westen, Tierfutter, Bio-Treibstoff. Hier wird ein langfristiges, interkontinentales Agrargeschäft eingerichtet. Kritiker nennen es »Land grabbing«, »Landraub«. Es rentiert sich. Für die Reichen allemal. »Verkauft die Banken, kauft Käse«, hatte kurz vor der Finanzkrise der Chef eines Londoner Hedge-Fonds den internationalen Anlegern geraten. Man folgte seinem Rat. Nach einer Studie der Weltbank von 2011 war die Expansion von Investitionen in Agrarland zwischen 1990 und 2007 noch relativ langsam und gleichmäßig gewachsen. Doch von 2008 bis 2009 wurde in über 56 Millionen Hektar investiert. Im Frühherbst dieses Jahres veröffentlichte Oxfam eine Studie, wonach 227 Millionen Hektar, eine Fläche so groß wie Nordwesteuropa, seit 2001 verkauft, verpachtet oder anderweitig vergeben worden seien. »Nahrung«, so schrieb das Magazin Foreign Policy, »ist inzwischen der heimliche Motor der Weltpolitik geworden«. Es drohe ein Jahrhundert des Hungers, sagte der französische Landwirtschaftsminister Bruno Le Maire. Jede Dürre, jede Überschwemmung, jeder Sturm erinnert daran, wie es zugehen könnte, wenn sich bald zehn Milliarden Menschen den Planeten teilen. Die Krise 2007/2008 trieb Hunderte Millionen Menschen in die Armut. Brotunruhen erschütterten Regierungen. Exportländer stoppten die Ausfuhr des eigenen Getreides, Panikkäufe folgten. »Selbstversorgung«, erklärte ein Think Tank in Dubai, »ist für die trockenen, immer dichter bevölkerten Golfstaaten keine Option.« Also haben sich die Vereinigten Arabischen Emirate Hunderttausende Hektar Land im Sudan gesichert, und das ist nur ein Bruchteil ihrer Investitionen. Saudi-Arabien, das lange auf die Eigenproduktion von Weizen gesetzt hatte, wird dieses Vorhaben bis 2016 auslaufen lassen. Angst vor Hungersnöten treibt Japan und Südkorea um. Jeder spielt mit jedem. Indien investiert in Äthiopien, Korea in Australien. Sorgen macht sich auch China. Die landwirtschaftlichen Nutzflächen des Landes verschwinden durch die Industrialisierung, Umweltverschmutzung und Verwüstung. Um den Nahrungsbedarf zu decken, muss das Land bereits Weizen importieren. Chinas Landwirtschaftsministerium ermutigt schon seit Jahren einheimische Agrarfirmen, im Ausland bebaubare Flächen aufzukaufen. In Brasilien will man Land für den Anbau von Soja pachten, in den Bergen von Laos riesige Gummibaumplantagen anlegen. Kamerun, Kasachstan, die Philippinen, Mexiko, Russland, Mosambik, Uganda, Tansania – die Liste der Länder, die Äcker an Interessierte verpachtet oder verkauft haben, ist lang. Und bei weitem nicht immer sind es demokratisch legitimierte Regierungen, die ihr Land preisgeben. Zwischen Geber- und Nehmerländern herrscht zumindest kurzfristig gleiches Interesse. Mittelfristig kann diese Politik jedoch vor allem die armen Staaten in große Not führen. Man nehme Sudan: Im Jahr 2007 verschifften die Vereinigten Staaten 283 000 Tonnen Hirse als Hilfeleistung in die Region Darfur. Im selben Jahr hat der Sudan nach UN-Angaben die gleiche Menge Getreide exportiert. 2008 sollen sudanesische Firmen gar die doppelte Menge ins Ausland gebracht haben. »Der Sudan«, sagt Kanro Oshidari, Direktor des Welternährungsprogramms der UNO im Sudan, »könnte sich selbst versorgen. Er könnte die Kornkammer Afrikas sein.« Aber der Sudan exportiert die Nahrungsmittel und verpachtet ganze Landstriche an reiche Staaten des Nahen Ostens. Man nehme Laos: Als eines der ärmsten Länder der Erde hat es bereits zwei bis drei Millionen Hektar Land verpachtet, das sind an die 15 Prozent des Staatsgebiets – die Verträge laufen bis zu 70 Jahre. Im Süden haben sich Firmen aus Thailand, Vietnam und Malaysia eingekauft; im Zentrum kultivieren japanische, indische und skandinavische Firmen Eukalyptus- und Akazienwälder für die Papierherstellung. Die Pacht für einen Hektar liegt mit drei bis neun Dollar pro Jahr weit unter dem internationalen Marktwert. Dafür wurden Kleinbauern von ihren Feldern vertrieben. Deren Wut wächst. Immer wieder gehen Plantagen in Flammen auf. Grain, eine internationale Organisation, die gegen den globalen Landkauf protestiert, fürchtet das Ende der kleinbäuerlichen Landwirtschaft und eine hemmungslose Konzentration der Produktion. Als »eine Form des Neo-Kolonialismus« hat Jacques Diouf, Chef der UN-Landwirtschaftsorganisation FAO, diese Praxis bezeichnet. Menschen werden auf Dauer kaum zusehen, wie die Erträge ihres Bodens außer Landes gebracht werden, während sie selbst hungern. Wird das heimische Militär die fremden Investoren dann vor dem eigenen Volk schützen? »Land ist eine extrem heikle Sache«, hat der Entwicklungsexperte Steve Wiggins vom britischen Thinktank Overseas Development Institute erklärt, »das kann fürchterlich schiefgehen, wenn man die Lektionen aus der Geschichte nicht gelernt hat.« Das bekannteste Beispiel in den letzten Jahren ist Madagaskar: Dort führte Anfang 2009 ein Pachtgeschäft mit dem koreanischen Konzern Daewoo zum Sturz der Regierung. Was den Konzern nicht stört – Daewoo hält bislang an seinen Plänen fest und hat sich bereits einen Teil des zugesagten Landes angeeignet. Befürworter dieser Praxis behaupten dennoch, alle Seiten würden profitieren. Die reichen Länder sicherten ihre Nahrung, die armen würden eine bessere Infrastruktur erhalten, technisches und wissenschaftliches Know-how. Dem widerspricht Oxfam und erklärt, dass die vier großen Mythen – gepachtetes Land sei vorher nicht oder kaum genutzt worden, die Projekte würden Nahrungsmittelsicherheit, Jobs und Steuern für die betroffenen Länder bringen – nicht der Wahrheit entsprechen. Investoren suchen fast immer nach dem besten Land. Weil viele Kleinbauern ihre Einkünfte verlieren und weil oft Bio-Treibstoffe angebaut würden, sei Nahrungsmittelsicherheit keinesfalls garantiert. Jobs entstünden kaum, seien schlecht bezahlt und kurzfristig – Tagelöhnerarbeit. Und in vielen Fällen würden sich korrupte Regierungen und Regimes an solchen Verträgen schlicht bereichern.
Lösungsvorschläge gibt es. Doch welche sind richtig? Steht uns also »Peak Soil« kurz bevor, unabhängig davon, ob es nun die Erde unter unseren eigenen Füßen oder unter denen der Kleinbauern des Südens ist, die verschwindet? Es müsste nicht so sein. Lösungsvorschläge gibt es, und sie sind nicht neu. Andrew Campbell sagt: »Wenn wir die landwirtschaftliche Praxis allgemein verbessern, können wir die Nahrungsmittelproduktion auf bereits bewirtschaftetem Land dramatisch verbessern, ohne mehr zu roden oder die Böden noch mehr zu belasten. Es sind ein paar einfache Prozesse notwendig: Fruchtwechsel, Aussaat zum richtigen Zeitpunkt, grundlegende Unkrautkontrolle. Das sind alles altbekannte Methoden, die jedoch nicht immer angewandt wurden.« Inzwischen plädiert sogar der wirtschaftsliberale Economist für den Einsatz von Verfahren, die mit weniger auskommen – mit weniger Wasser, weniger Pflügen, mit weniger Dünger und weniger Pestiziden. Die Rede ist von Direktsaat, auch »No-till« (»pfluglos«) oder »Conservation Agriculture« genannt. Vor allem auf dem amerikanischen Kontinent – Brasilien ist mit 50 Prozent Spitzenreiter – steigen immer mehr Farmer auf No-till oder wenigstens »Low-till« um. Hier wird der Boden vor der Saat nicht mehr gepflügt. Krume und Nährstoffe werden so im Boden gehalten, der Einsatz von schweren Maschinen verringert sich, was dazu führt, dass die Erosion fast bis auf Null reduziert werden kann. Hier muss auch der Öko-Anbau lernen: Verzichtet die ökologische Landwirtschaft lediglich auf chemische Dünger, Herbizide und Pestizide und setzt auf Unkrautbekämpfung durch Pflügen, ist sie nicht unbedingt die besseren Alternative für den Boden. In Gegenden, wo in der Umgebung kaum organische Nährstoffe zur Bodenverbesserung generiert werden können, wie etwa in Bangladesch, laugt auch ein umweltbewusst bearbeitetes Stück Erde aus. Oder in Australien, wo »organische Wanderfarmen«, wie sie Theodor Friedrich von der Food and Agriculture Organisation FAO nennt, nach zehn Jahren »Bio«-Landwirtschaft kahle Erde hinterlassen und weiterziehen. Konventionelle Conservation Agriculture braucht allerdings Herbizide, denn es dauert, bis sich der Boden auf ein neues, gesundes Gleichgewicht eingependelt hat. Viele Anfangsschwierigkeiten in der sinnvollen Kombination von ökologischer und pflugloser Methodik lagen wohl daran, dass sie zwei unterschiedlichen ideologischen Ansätzen entstammten – der konventionellen Landwirtschaft einerseits, der alternativen andererseits. Doch ist die pfluglose Feldbearbeitung längst auch in der ökologischen Bewegung, in der der Erhalt der Bodenfruchtbarkeit immer schon von zentraler Bedeutung war, ein Thema. Und Verfechter der Conservation Agriculture wie Theodor Friedrich sind der Ansicht, dass es nach einer gewissen Zeit der Umstellung möglich sein sollte, die Anwendung von Herbiziden drastisch zu verringern oder durch ökologisch verträgliche Mittel zu ersetzen. Einstweilen jedoch regnen noch Tonnen von Glyphosat, dem umstrittenen Totalherbizid, auf die konventionellen, pfluglos bewirtschafteten Felder nieder. Auf www.pfluglos.de diskutieren Landwirte, wie es weitergeht, wenn Glyphosat verboten werden oder sich wegen des Ölpreises verteuern sollte. Ist das die Chance zur Begegnung zweier Welten? Das Rodale Institute, Urmutter der Öko-Landwirtschaft im angelsächsischen Raum, macht vergleichende Langzeitversuche: konventioneller pflugloser Landbau im Vergleich mit ökologischem pfluglosen Landbau, und hier unterschieden zwischen pflanzlicher und tierischer Düngung. Man ist offen – und es zeigt sich, dass die Kombination von ökologischem Anbau und pflugloser Feldbearbeitung auch klimatechnisch die besten Ergebnisse erzielt. Die alte Kulturtechnik Ackerbau sollte weder ideologisch noch rein mechanistisch betrachtet werden. Es geht immerhin um die Erde unter unseren Füßen. Sie ist zu kostbar, zu dünn, zu selten, um über sie zu streiten. Es geht darum, bald zehn Milliarden Menschen zu ernähren – auf eine Weise, die sicherstellt, dass auch unsere Kinder und Kindeskinder nicht verhungern.
Petra Steinberger (45) ist Journalistin bei der »Süddeutschen Zeitung am Wochenende« mit Schwerpunkt Umwelt und Soziologie. Sie studierte Politik in München und Middle Eastern Area Studies an der SOAS in London.