Wie eine Lebensmittelkooperative aus den 80er Jahren bis heute floriert.von Gudrun Fischer, erschienen in Ausgabe #12/2012
Tomaten setzen ist gar nicht so einfach. Sieben Mitglieder der Lebensmittelkooperative »Maiskolben« aus Bremen verabreden sich zu einem Pflanzeinsatz zwanzig Kilometer vor den Toren der Stadt. Für alle ist es das erste Mal. »Ich bin seit zehn Jahren im Maiskolben, hatte es aber zuvor nie in den Salatgarten zu Beate geschafft«, gibt eine von ihnen zu. Der »Salatgarten« ist der Demeter-Feingemüsebetrieb von Beate Hübener-Schröder, und der Tag in ihrem Gewächshaus wird für alle lehrreich werden. Die Schwindelfreien klettern auf hohe Leitern und binden Strippen an die Metalldrähte, die unter dem Dach des Kaltgewächshauses entlangführen. Am Boden graben die anderen. Alle halbe Meter heben sie ein Pflanzloch aus, in jedes kommt eine Schaufel Mischkompost, der zum einmaligen Geschmack der Tomaten beiträgt. Beate ist Betriebsleiterin für biologisch-dynamischen Landbau. Sie erklärt die Arbeitsschritte, informiert über Tomatenzucht und serviert Kuchen und Suppe. Vierhundert Pflanzen haben die sieben Leute am Abend eingesetzt. Zum Abschluss wickeln sie den Haupttrieb der vorgezogenen Pflänzchen die Strippen hinauf. »Hübsch sieht es aus, dieses Geflecht«, freuen sich die Laien. Besonders genossen hat es der kleine Theo, der stundenlang über die Furchen krabbelte. Sein Mund ist mit Erde beschmiert. »Ohne diese jährliche Pflanzhilfe könnte ich die gewünschte Menge an Tomaten für den Maiskolben gar nicht produzieren«, sagt Beate. Ihre Tomaten sind von Juli bis November im Laden der Verkaufsschlager. Und auch die anderen Läden, die sie beliefert, verlangen nach den Tomaten. »Meine Haferwurzeln hingegen blieben ewig liegen«, wundert sich die Gärtnerin, die jedes Jahr ein anderes »altes« Gemüse anpflanzt. »Es dauerte lange, bis die Leute im Maiskolben sie annahmen, obwohl sie besser schmecken als Schwarzwurzeln.« An die Speisemelde hat sich Dörte Fichtner, Lehrerin und Lerntrainerin und erst seit einem halben Jahr Coop-Mitglied, schon gewöhnt. Sie stapelt sie inzwischen statt Spinat in ihre Lasagne und findet den Geschmack würziger. Insgesamt liefert Beate über zwanzig Sorten Feingemüse, zwanzig Sorten Salat und fünfundzwanzig verschiedene Kräuter an den Maiskolben. »Ich habe immer im Hinterkopf, dass der Maiskolben eine gute Rundumversorgung braucht.« Der Maiskolben legt seit jeher Wert auf den Kontakt mit den Produzentinnen und Produzenten auf dem Land. Früher wurde noch viel mehr hinausgefahren und geholfen. 1993 pachtete der Maiskolben sogar einmal eine Kuh. Doch die Zeiten des großen Engagements sind vorbei. Heute klappen gemeinsame Landpartien eher selten. Neben Beates Tomatenaktion im Mai findet im Oktober das Sauerkrautfest beim zweiten Direktproduzenten des Maiskolbens statt, dem Demeterhof von Antje, Volker und Axel Bielenberg. »Wir haben sechzig Welsh-Black stehen, robuste Fleischrinder, für die wir selbst Futter anbauen«, erklärt Axel Bielenberg. Außerdem wird dort Gemüse gezogen. Familie Bielenberg beliefert die Coop bereits seit elf Jahren mit Kartoffeln, Eiern, Fleisch und Grobgemüse, wie Möhren, Lauch, Sellerie, Steckrüben und verschiedenen Kohlsorten. Beim Sauerkrautfest dürfen alle, die zum Helfen gekommen sind, nebenbei auch ihr eigenes Kraut schneiden und einlegen. Ein paar Wochen darauf gelangen Tüten mit fertigem Sauerkraut in den Maiskolben. Wer fürs Selbermachen keine Zeit hatte, kann das Gesäuerte dann fertig kaufen. »Wir beliefern auch andere Läden und Marktstände. An den Maiskolben könnten wir weit mehr abgeben«, meint Bauer Axel. »Sie schmecken wie Frucht und Gemüse zugleich«, schwärmt eine Kundin im Laden und steckt sich eine kugelrunde Tomate in den Mund. »Sie sind knackig und haben die ideale Größe für den schnellen Biss.« Dörte Fichtner öffnet gerade eine Kiste mit Paprika. Sie wartet auf ihre Mithelferin, denn alleine ist ein Ladendienst kaum zu schaffen. Die Ware, die vorher von den Lieferantinnen und Lieferanten im Laden abgestellt wurde, muss durchgezählt werden. Dann wird der Preis ausgerechnet, das ist der Lieferpreis plus ein kleiner Aufpreis für eventuelle Verluste. Alles wird ordnungsgemäß aufgeschrieben und aufgestellt. »Nur viermal die Woche ist unser Laden für ein paar Stunden zur Warenverteilung geöffnet. Da ist manchmal die Hölle los«, meint Lehrerin Fichtner. »Es hat Mühe gekostet, mich auf die wenigen Öffnungszeiten einzustellen. Dann folgte aber sehr schnell, dass ich gar nichts mehr im Supermarkt kaufte.« Da alles selbst gemacht wird, ist es hier billiger als in anderen Bioläden.
Genuss ohne Gewinn Im Maiskolben wird die Ware bezahlt wie in normalen Geschäften, das Geld wird aber direkt weitergereicht in die Hände der Bäuerinnen und Bauern – der Maiskolben macht keinen Gewinn. Sieben Kleingruppen bilden den Kern der Coop, auf sie sind alle Mitglieder verteilt. Wer »aktiv« ist, und das sind die meisten, übernimmt regelmäßig Laden- und Putzdienste. Wer zu viel Stress hat, kann für eine Weile »passiv« werden und zahlt dafür etwas mehr. Es gibt sogar eine Art Dienstplan, eine Liste mit Öffnungszeiten und Putzterminen, die per E-Mail verschickt wird. Der Plan liegt auch vor Ort aus. »Einige haben keinen Computer, sie holen sich die Infos im Laden ab.« Dörte Fichtner hilft außerdem regelmäßig beim Auspackdienst. »Während wir die über den Großhandel bestellten Trockenprodukte auspacken, unterhalten wir uns über Kochrezepte. Das Kommunikative ist das Beste, das macht für mich den größten Reiz des Ladens aus.« Der Maiskolben zog ein Jahr nach Gründung 1983 in einen Eckladen in der Bremer Neustadt. Selbstorganisation war von Anfang an für alle das Hauptkriterium. Früher gehörten die Räume zu einer Metzgerei, die alten Fenster und hübschen Kacheln wurden nie ersetzt. Ein kunstvolles Buntglasschild mit dem Namenszug »Maiskolben« hängt im Schaufenster. Ist es der vegetarisch-veganen Fraktion unangenehm, dass es an diesem Ort früher nur Fleisch gab und heute noch ein Kühlschrank mit Fleischwaren gefüllt ist? »Hier ist alles säuberlich getrennt. Wir haben auch einen Kühlschrank für vegane Produkte und zwei für Milchprodukte«, erzählt Dörte. Aus den Fleischerladenzeiten stammt der kühle Tiefkeller. In den beiden oberen Verkaufsräumen stehen Regale mit Trockenprodukten, daneben vier Kühlschränke und eine Käsetheke, im mittleren Keller ein Gefrierschrank. Der Tiefkeller dient der Kühlung von Gemüse und Obst. Dörtes Dienst ist beendet, sie schleppt die Kisten hinunter. Die Kunst der Kühlpflege hat sie wie alle irgendwann gelernt. Je nach Gemüse muss unterschiedlich feucht abgedeckt werden. Wie, steht auf diversen Schildern an der Wand.
Alles wirkt chaotisch und klappt doch Gärtnerin Beate und die Bielenbergs kommen einmal im Jahr zur Hauptversammlung oder auf eine der monatlichen Mitgliederversammlungen. Dort wird erzählt, was gut und was schlecht läuft. Zur Versammlung schicken alle Kleingruppen Delegierte. Beate Hübener-Schröder erwähnt auf einer Versammlung, dass sie den Maiskolben schon seit fünfundzwanzig Jahren beliefert. »Wie wäre es im Herbst mit einem Fest bei mir draußen zur Feier unserer Zusammenarbeit?« Beates Vorschlag wird angenommen. Eine Liste wird aufgehängt, damit sich einträgt, wer kommen möchte. Bis zum Tag vor dem Termin stehen darauf nur drei Personen. »Bis zuletzt wusste Beate nicht, wieviele sie erwarten kann und ob auch alle etwas zu Essen mitbringen«, erzählt ein Uraltmitglied. Schließlich erschienen die Mitglieder doch zahlreich. Das sei typisch für den Maiskolben: »Alles wirkt erstmal chaotisch, dann klappt es doch.« »Das Fest bei Beate war wunderschön«, schwärmt Dörte Fichtner. »Erst stürzten wir uns auf das Kuchenbuffet im Gewächshaus, dann bin ich noch durch den gigantischen Tomatenwald geschlichen. Wieder roch es nach Tomaten und Dung. Später aßen wir auf der Wiese vor Beates Blumenbeet, viele hatten etwas zu essen mitgebracht. Dann erklärte sie uns, wie sie ihr Gemüse anbaut. Ich war erstaunt, dass sie für all unser Gemüse nur einen halben Hektar bewirtschaftet.« Abends zündeten die Gäste aus der Stadt ein Lagerfeuer an, und einige machten Musik. Manche hatten zum Übernachten Zelte mitgebracht. Beate könnte von den achtzig Hektar des schwiegerelterlichen Hofs mehr für ihren Salatgarten nutzen, schafft es aber zeitlich nicht. »Eines Tages könnte hier auf dem Hof meines Mannes ein echter CSA-Hof entstehen.« Noch wird der Großteil konventionell bewirtschaftet, die Ställe sind verpachtet. »Aber für die Zeit, wenn mein Mann in Rente geht, habe ich schon einen Interessenten. Ich will dann noch ein paar Jahre mit ihm im CSA-System mitmachen. Wenn es klappt, bis zu meiner eigenen Rente«, sagt die 53-Jährige. Sie ließ sich in den vergangenen Jahren von vielen Gemeinschaftshöfen nach dem Modell der »Community Supported Agriculture« im In- und Ausland inspirieren. »Zwischendurch war ich mit meinem kleinen Salatgarten regelrecht verzweifelt, weil ich mich mit der Gemüsewirtschaft so allein fühlte und auf keinen grünen Zweig kam. Seit ich 2001 in die Lehrtätigkeit der freien Ausbildung für biologisch-dynamischen Landbau geraten bin, geht es mir ein wenig besser.« Eine komplette staatliche Ausbildung für biologischen Landbau gibt es in Deutschland noch nicht. Die vom Demeter-Verband durchgeführte Ausbildung mit staatlich anerkanntem Betriebsleiterinnen-Status läuft zur Zeit nur in Zusammenarbeit mit den Niederlanden. Bisher ließ sich niemand vom Maiskolben zur Biobäuerin oder zum Biobauern ausbilden. Dafür gingen im vergangenen Sommer Schulpraktikantinnen aus dem Maiskolbenumfeld für ein paar Wochen in den Salatgarten. Könnte sich der Maiskolben mit CSA auf eine von Verbauchern und Produzenten gemeinschaftlich getragene Bewirtschaftung einstellen? Das wurde noch nicht diskutiert, und eine Entscheidung wird auf sich warten lassen. Denn eine Konfliktlinie im Laden läuft entlang der Entscheidungsstrukturen. Seit ein paar Jahren gilt das Konsensprinzip. Und das ist vielen zu langwierig. Warum, so steht in einem Protokoll zu lesen, wird alles rauf und runter besprochen, nur um später erneut diskutiert zu werden? Dennoch werden Regionalität und Produktpalette bald wieder Thema sein. Auf der vergangenen Jahreshauptversammlung bemängelte die Person, die die Bilanzen ausrechnet, dass immer weniger Frischware aus Direktbezug im Laden umverteilt wird. Der Rest kommt vom Biogroßhandel. Darin sind sechs landwirtschaftliche Betriebe aus der Umgebung Bremens organisiert, insofern ist auch diese Ware regional – ein Grundprinzip des Maiskolbens. Über den Großhandel kann allerdings auch überregionale Ware bestellt werden, wie Zitrusfrüchte oder Auberginen im Winter.
Wie regional, wie saisonal? Vor vielen Jahren wurde ausführlich diskutiert, wieviele Produkte aus Übersee akzeptiert werden. Der Kompromiss: Pro Woche darf jedes Mitglied vier überregionale Lebensmittel ordern. Außerdem sollen wegen der Kinder und der Vitamine immer Bananen und Zitronen vorrätig sein. Zur Erleichterung der anstehenden Diskussionen brachte jemand die Technik der Handzeichen ins Spiel. Gesten statt Worte ist da das Prinzip. Zur Einführung gab es vor einer Mitgliederversammlung schon mal einen »Wedelworkshop«. Vielen sind die Handzeichen fremd, sie finden sie überflüssig. Trotz aller Konflikte geht der Maiskolben nicht baden. Warum, das kann niemand so genau sagen. Von den Allerersten ist niemand mehr da, die Mitgliederzahl ist beständig im Fluss. Nur zwei, drei Leute beteiligen sich seit über zwanzig Jahren am Maiskolben. Vielleicht reizt gerade das: Wer mag, wird nett aufgenommen und kann jederzeit neue Ideen einbringen. Wer nicht mehr mag, kann sich ohne Drama verabschieden. Das Ergebnis: Viele kommen, viele gehen. Das Wissen bleibt.
Gudrun Fischer (49) ist Biologin und als freie Rundfunkjournalistin für die ARD-Sendeanstalten und den Deutschlandfunk tätig. Sie lebt in Bremen und ist selbst Mitglied im Maiskolben.