Das Europäische Permakulturtreffen in Deutschland hinterlässt ermutigende Fragen.von Judit Bartel, erschienen in Ausgabe #17/2012
Wenn sich eine neue Denkweise und Praxis wie die der Permakultur etabliert, entsteht wie von selbst eine Szene. Sie ist ihr eigenes Biotop, hat ihr eigenes Vokabular, bald auch ein eigenes Lebensgefühl, was auf die einen anziehend, auf die anderen abweisend wirkt. Nach einiger Zeit der Selbstdefinition blickt die Szene dann über den Tellerrand. So geht es derzeit nicht nur der Permakultur, sondern einer Reihe weiterer Felder, in denen zukunftsweisende Ansätze, Methoden, Theorien und Praktiken erprobt werden. Ihre Gemeinsamkeit liegt vielleicht darin, dass in diesen Bewegungen nicht nur die gute Beziehung zwischen Menschen das Ziel ist, sondern auch die Beziehung zur Natur. In diesem Feld der Szenen werden zunehmend gemeinsame Unternehmungen in die Tat umgesetzt. So war es auch auf der 11. European Permaculture Convergence (EUPC), die diesen Sommer nahe Kassel stattfand. Das deutsche Vorbereitungsteam dieses Treffens hatte sich entschieden, diese Convergence zu einer Begegnung des europäischen Permakultur-Netzwerks mit befreundeten »Nebenan-Netzwerken« werden zu lassen. So waren auch Vertreter der Transition-Town-Initiativen, des Global Ecovillage Network, der Gemeinwohlökonomie, der Tiefenökologie, der Wildnisschulen und des Dragon Dreaming nach Escherode nahe Kassel gekommen. Unter dem Motto »Now!« fand der Austausch darüber statt, welche konkreten Ansätze es in den einzelnen Netzwerken für eine zukunftsfähige Umgestaltung unserer Wirklichkeit gibt. Im Zentrum standen die drei ethischen Prinzipien der Permakultur: die Sorge für die Erde, die Sorge für die Menschen und das gerechte Teilen aller Ressourcen. Darin klingen die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit an: Ökologie, Soziales und Ökonomie. Dabei geht die Permakultur davon aus, dass sich die wirtschaftliche Aktivität eines Bereichs nur innerhalb der unverrückbaren Leitplanken von Menschenrechten und begrenzten ökologischen Ressourcen entfalten kann. Die Gastrednerinnen aus den befreundeten Netzwerken hatten die Einladung zu diesem Treffen freudig angenommen und zum Teil ihr eigenes Jahrestreffen auf die EUPC verlagert. So blieb kein Kontinent leer, als sich am ersten Abend im Zirkuszelt alle Anwesenden auf einer imaginären Weltkarte genau dorthin stellten, wo sie herkamen. Aus fast jedem europäischen Land waren Teilnehmer gekommen – zusammen gut 240 Menschen. Die Art und Weise, wie dieses Treffen von der ersten Idee Schritt für Schritt ins Leben gebracht wurde, ist selbst schon Frucht der wechselseitigen Inspiration der Netzwerke. Schließlich wurde mit den Werkzeugen des Dragon Dreamings – einer Methode, um ganz unterschiedliche Menschen für ein gemeinsames Projekt zu begeistern und wirken zu lassen – erträumt und geplant.
Gestaltung des Veranstaltungsortes Die gAstwerke, eine junge Gemeinschaft, war Gast- und Platzgeber für die EUPC. Auch die Vorbereitung ihres Geländes zielte auf die harmonische Verbindung verschiedener Welten – des geschützten Privatbereichs der Gemeinschaft und des Bereichs der Teilnehmenden. Ganz im Sinn der Permakultur wurden im Vorfeld Strukturen geplant und gebaut, die nach dem Treffen entweder wieder abgebaut wurden oder die die dort lebende Gemeinschaft weiter nutzen kann und will. Die Herausforderung für das Vorbereitungsteam bestand darin, mehrere Wiesen am Waldrand in ein funktionierendes Camp zu verwandeln. Entstanden ist eine kleine Festivallandschaft mit sechs verschiedenen Veranstaltungsorten unterschiedlichen Charakters – vom großen Zirkuszelt über mittlere und kleinere Zelte bis hin zu den »Wise Woods«, einem geschützten Sitzkreis unter dem offenen Blätterdach des Waldes. Dabei kamen die vor Ort vorhandenen Ressourcen zum Einsatz. So wurden gebogene Holz-Leimbinder, die einmal die Folie eines großen Polytunnel-Gewächshauses getragen hatten, zu einer Sommerküche mit muschelförmigem Dach und einer coolen Bar verbaut. In eineM der Glasgewächshäuser, die nur im Frühjahr für die Pflanzenanzucht gebraucht werden, wurden Duschen eingerichtet, die man entfernen, aber für das nächste größere Sommercamp auch wieder einbauen kann. Und natürlich sollten die mitgebrachten Ressourcen nicht als Problemmüll am Ort bleiben, sondern als Schatz für alles dort Wachsende. Daher gab es Komposttoiletten, deren Inhalt Roland Wolf in Terra Preta (Dauerhumus) verwandeln möchte. Mein persönlicher Favorit war der Lagerfeuerplatz: auf der einen Hälfte eingefasst mit einer Grassitzbank, deren Rückseite – nach Süden ausgerichtet – als Hügelbeet fungierte. Dieses war bewachsen mit allerlei Gemüse und Blumen und bot gleichzeitig den Lagerfeuergästen Schutz vor Wind.
Vernetzung beflügelt Während der angebotenen Vorträge und Workshops wurde immer wieder deutlich, wie übergreifende Vernetzung alle Beteiligten beflügelt. Declan Kennedy, der zusammen mit seiner Frau Margrit vor 30 Jahren die Permakultur nach Deutschland gebracht und bekanntgemacht hatte, teilte bei seinem Vortrag über den australischen Permakultur-Pionier Bill Mollison mit dem Publikum seine Freude über die vielen kulturkreativen Bewegungen, die sich immer mehr vernetzen, um gemeinsam den notwendigen Wandel in unserer Gesellschaft voranzubringen. Dazu gehört beispielsweise der Ansatz der Sozialen Plastik, soziale Transformationsprozesse als Kunst zu begreifen und zu gestalten. Diesen von Joseph Beuys geprägten Geist transportierten in einem gemeinsamen Vortrag Shelley Sacks – Künstlerin und Beuys-Schülerin – und die Kulturwissenschaftlerin Hildegard Kurt zu der Frage, wie wir unsere Fähigkeit kultivieren können, in uns Bilder von einer anderen Zukunft zu erschaffen und diese dann auch in die Welt zu bringen. Wie die Permakultur hat auch das Dragon Dreaming seine Ursprünge in Australien. Seit 2008 lebt sein Begründer, John Croft, in Deutschland und unterrichtet viel, so dass auch daraus bereits eine Bewegung hervorgegangen ist. Auf der EUPC zeigte John Croft, wie Dragon Dreaming aus der Permakultur, der Tiefenökologie und Forschungen zu den Erfolgsbedingungen von Projekten in Westaustralien entwickelt wurde. Es wurde deutlich, wie die bei dieser Methode bewusst gestalteten Phasen des Träumens, Planens, Handelns und Wertschätzens gängige Dichotomien, wie etwa die von Kopf versus Körper, von Individuum versus Umwelt und von Ratio versus Emotion, überwinden und somit auch eine Vielfalt an Menschen mit ihren jeweiligen Stärken in einem Projekt ihren Platz finden können. Einen Bogen zur Regiogeld-Bewegung schlug Margrit Kennedy, die über die Problematik von Zins und Zinseszins in unserem Geldsystem aufklärte. Wie ließe sich Geld als ein Werkzeug gestalten, das den Bedürfnissen der Menschen dient? Auch solche Fragen sind für die Permakultur relevant. Wenn sie ihrem systemischen Ansatz, der sich auf alle Lebensbereiche anwenden lässt, gerecht werden möchte, stellt sich auch die Frage nach einer permakulturellen Wirtschaft, in der sich alle gegenseitig bestärken. Deshalb war es eine Bereicherung, dass Christian Felber – auch er ein Vertreter einer wachsenden Bewegung – seinen Ansatz der Gemeinwohlökonomie vorstellte.
Auf dem Weg in die Breite? Sind permakulturelle Ansätze also auf dem Weg in den Mainstream? Am vorletzten Tag des Treffens war Besuchertag. Ungefähr 100 Interessierte aus der Umgebung kamen, schlenderten an den Marktständen mit Saatgut, Kräuterprodukten und bedruckten T-Shirts vorbei und nahmen an einer Führung zu Permakultur auf dem Gelände teil. Beim Abendessen gab es Gelegenheit, miteinander ins Gespräch zu kommen. Als mein Gesprächspartner mit dem Stichwort Dragon Dreaming die Assoziation »Trecker träumen« verband und sich fragte, ob die Pflanzen vielleicht besser wachsen, wenn die Traktoren oder ihre Fahrer geträumt haben, wurde mir mal wieder klar, wie weit vom Mainstream entfernt wir uns mit unseren kulturkreativen Szene-Vokabeln doch gesellschaftlichen bewegen. Da steht noch einiges an Übersetzungs- und Kommunikationsarbeit an, um Permakultur aus der Nische herauszuholen! Einen Versuch dazu wagte die diesjährige EUPC mit dem öffentlichen »Kassel Wandeltag«, der in erster Linie eine Stimmung vermitteln sollte: dass der Wandel hin zu einer enkeltauglichen Gesellschaft eine spannende, freudige und vor allem kreative Sache sein kann. Nachdem wir uns mit den Leuten von »Essbare Stadt Kassel« getroffen hatten und mit Blumenkränzen ausgestattet wurden, ging es mit bunten Transparenten, Getrommel und einem riesigen Ball aus Lumpen in Richtung Hauptbahnhof. Dort beschenkten wir die Passanten mit unseren Gaben – Kletten, an denen Stoffbänder mit frechen Sprüchen klebten, oder Mini-Kräutertöpfe, hergestellt aus abgeschnittenen Tetrapaks. Hauptstation unseres Umzugs war das Fridericianum, Zentrum der »documenta«, wo wir die zwei berühmten Beuys-Eichen demonstrativ mit Kompost düngten. Wer uns begegnete, hat sich angesichts der Blumenkränze in unseren Haaren wahrscheinlich des Eindrucks nicht erwehren können, hier sei eine Gruppe Hippies unterwegs. In mir wurde die Frage laut, wie – auf welche Weise – wir Permakultur eigentlich in die Öffentlichkeit bringen wollen. Es scheint mir, dass es da noch ein weites Experimentierfeld gibt. Eine konkrete Idee in diese Richtung wurde in Escherode geboren. Andy Goldring berichtete vom LAND-Projekt der britischen Permaculture Association. In Großbritannien werden seit 2009 dank der Förderung durch eine Lotterie-Stiftung Demonstrationszentren für permakulturelle, lokale Nahrungsproduktion und ökologisch sinnvolle Landnutzung aufgebaut. Mittlerweile zeigen schon 50 solcher Zentren im Land, wie Permakultur praktisch aussehen kann. Auf vielen kleinen, lokalen Märkten werden die vor Ort produzierten Lebensmittel und Pflanzen verkauft. So wird Permakultur ganz bodenständig bekanntgemacht. Der Funke der Begeisterung ist auf einige im deutschen Permakultur-Netzwerk übergesprungen, und ich hörte nicht nur einmal: »Lasst uns hier auch so etwas wie das LAND-Projekt auf die Beine stellen!« Dies ließe sich gut mit den Transition-Town-Initiativen verbinden, geht es hier doch darum, die Versorgung einer Stadt mit Nahrung, Energie und Wasser wieder auf möglichst lokaler Ebene zu organisieren. Kosha Joubert, Vorsitzende des Global Ecovillage Networks für Europa, erzählte eindrucksvoll davon, wie selbstverständlich die Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln für die Ökodörfer des globalen Südens sei – und wie wichtig es für diese sei, genau dafür Wertschätzung und Respekt von uns aus dem Norden zu erfahren. Lassen sich mit so viel gutem Willen zum Voneinander-Lernen weitere Brücken auch zu Netzwerken außerhalb der alternativen Szene schlagen? Wie lange muss das Myzel einer kooperativen Kultur unter der Erde wachsen, bis Früchte jenseits der Nischen sichtbar werden? Die Art und Weise, wie das Orga-Team die auf dem Treffen entstandenen Themen in die bewusst geplanten Open-Space-Zeiten integrierte und das zunächst sehr offen erscheinende Programm nach und nach Gestalt annahm, zeigte mir, dass wir mittlerweile geübt darin sind, lebendige Prozesse unter der Beteiligung aller zu strukturieren und zu moderieren. Vielleicht ist das die Essenz, die sich jenseits aller Methoden und Vokabeln transportieren lässt – eine Kultur des Zuhörens, der Beteiligung und des gemeinsamen Gestaltens zu entwickeln.
Judit Bartel (34) ist Erwachsenenpädagogin und Kulturanthropologin. Sie ist im geschäftsführenden Team der Permakultur Akademie tätig (www.permakultur-akademie.net).