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Die Tyrannei der Arbeit (Buchbesprechung)

von Leonie Sontheimer, erschienen in Ausgabe #25/2014
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Ulrich Renz bringt es oft genug auf den Punkt: Die Arbeit regiere unser Leben, sie sei uns Religion, Zuhause, Sinnstifterin geworden, sie tyrannisiere uns, mache uns krank …

In 15 Kapitel und zahlreiche gut verdauliche Häppchen unterteilt, zeigt Renz’ Buch ein beunruhigendes Bild unserer Gesellschaft, die nur für die Arbeit lebt. Es ist ein Essay, es ist poppig, es überspitzt und vereinfacht – so wurden die Fußnoten einfach auf die Homepage des Buches ausgelagert –, und es überzeugt. Zumindest im Kern.

Heute scheint vergessen, dass Arbeit nicht immer Zentrum des Lebens war. Etymologisch kommt der Begriff von Qual, Mühe, Leid. In der Antike hatte ein gutes Leben, wer gar nicht arbeitete. Erst nach Luthers Erhebung der Arbeit zur Berufung und mit der Aufklärung begann sie in positivem Licht zu stehen. Nun scheint sie alles für uns geworden zu sein. Wir suchen in ihr Lebenssinn und Selbstverwirklichung. Im werteorientierten Kapitalismus lockt ein Autohersteller Mitarbeiter mit dem Slogan, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Der Arbeitsplatz ist unser Zuhause, mit den Kollegen als Familie. Hier sind wir sozialisiert und verbringen die meiste Zeit unseres Lebens. Das ist schön für uns – und noch besser für die Effizienz.

Zu Recht weist Renz an dieser Stelle darauf hin, dass die Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung den Kampf um die besten Arbeitsplätze verliert und Frustration, Stress und nicht selten einem Burn-Out ausgesetzt ist. Ganz abgesehen vom arbeitslosen Bevölkerungsteil: Diesem fehlen nach Renz gänzlich die drei für unsere Gesundheit unentbehrlichen Faktoren Wirksamkeit, Autonomie und Anerkennung.

So schwungvoll das Buch beginnt, so sehr verliert es in den letzten Kapiteln an Fahrt. Dass unsere Gesellschaft ihre Kinder schon früh auf beruflichen Erfolg trimmt und dass sich die Arbeitswelt mit zunehmendem Frauenanteil potenziell positiv verändern könnte, sind Thesen, für deren Ausschmückung Renz sich viel Raum nimmt. Schade, dass erst das letzte Kapitel dem Umdenken und Andersmachen gewidmet ist und dass hier so oft das Wörtchen »vielleicht« auftaucht: »Vielleicht« könne man ja etwas weniger konsumieren, müsste dann auch nicht mehr so viel arbeiten. Eine Auszeit könnte »vielleicht« helfen. Spät werden zaghaft zwei politische Ansätze genannt: Ausgabesteuer und bedingungsloses Grundeinkommen.

Eine explizite Differenzierung zwischen Lohnarbeit und Arbeit wird nicht gemacht. Letztlich appelliert der Autor an die Eigenverantwortung und scheint dabei ein bisschen sich selbst zu ermahnen. Nach einem bewussten Bruch mit der Arbeitswelt arbeitet Renz als freier Publizist nicht viel weniger als vorher. Ob wir so »die Herrschaft über unser Leben zurückgewinnen?«


Die Tyrannei der Arbeit
Wie wir die Herrschaft über unser Leben zurückgewinnen.
Ulrich Renz
Ludwig Verlag, 2013, 271 Seiten
ISBN 978-3453280502
17,99 Euro

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