von Sabrina Schulz, erschienen in Ausgabe #18/2013
Heldengeschichten gibt es viele. Narrengeschichten hingegen sind seltene Funde. Dabei ist kaum etwas so inspirierend wie die Gabe der Narren, mit scharfsinnigen Improvisationen eingespielte Machtstrukturen aus dem Gleichgewicht zu bringen. Lasst uns also Narrengeschichten unters Volk bringen! Der erste Schritt ist der über die Türschwelle der Bücherei oder ins Antiquariat, wo mit etwas Glück der Roman »El Loco« zu finden ist. Alberto Manzi erzählt darin in schlichten Worten die Geschichte einer indigenen Dorfgemeinschaft, die sich von einem Narren auf den steinigen Pfad der Emanzipation führen lässt. Der Autor, der sich in den 1950er und 60er Jahren in Bildungsprojekten in Lateinamerika engagierte, schildert die Repressalien gegen die Indios ungeschönt. Auch das Leben innerhalb der Gemeinschaft ist von Hierarchie und Diskriminierung geprägt. Frauen werden nicht gefragt, um Menschen mit Behinderung macht man einen großen Bogen. Nur selten leistet sich jemand Momente der Nächstenliebe, wie Dona Ida, die den Unbekannten mit den schrecklichen Folterwunden von der Straße aufliest und gesundpflegt. Verrückt, aber harmlos. Und eigentlich ganz unterhaltsam. So denken die Dorfbewohner über den Mann mit der roten Stirnbinde, der fortan auf dem Kirchplatz sitzt und Steine in eine Büchse wirft. Nur das widerspenstige Mädchen Furiosa erkennt, dass ihr Freund auf seine merkwürdige Weise hilft, Gedanken zu ordnen und Lösungen zu finden. Das wird umso wichtiger, als die Bergbaukompanie das Land der Indios beansprucht. Mit immer greulicheren Gewalttaten soll der Widerstand der Dorfbewohner gebrochen werden. Dennoch gelingt es dem Narren mit seinen Possen fortwährend, die Situation zu entschärfen, neuen Mut zu wecken und Spielräume aufzuzeigen. Die sukzessive Selbstermächtigung der Dorfgemeinschaft wird von der Jugend getragen. Alphabetisierung und Gleichberechtigung sind dabei ebenso wichtig wie die Abkehr von Drogen und der kritische Blick auf Kirche und Obrigkeit. »El Loco« lässt die Feder eines Lehrers und seiner Zeit erkennen. Trotzdem wirkt der Jugendroman nie belehrend, sondern überzeugt bis zum Schluss. Die Geschichte mündet in einen Triumph, der aus der Verschiebung der inneren Haltung, nicht aus dem Ende der Grausamkeit herrührt. Das macht Mut: Nicht große Utopien, sondern das Zulassen und Erproben kleiner Verrücktheiten bringen Veränderungen hervor.
El Loco Alberto Manzi Rowohlt, 1982 203 Seiten ISBN 3499149206