In Wörgl haben Bürgerinnen und Bürger selbstverantwortlich viel in Gang gesetzt.
von Veronika Spielbichler, erschienen in Ausgabe #31/2015
Wenige Monate vor den Kommunalwahlen 2003 startete mit einer Zukunftskonferenz auf Empfehlung engagierter kritischer Stadtbewohner die Lokale Agenda 21. Die Erwartungen auf Bürgerseite waren zwiespältig. Dem Wunsch nach Mitgestaltung hielten kritische Geister entgegen, dass mit den Anregungen der Bürger nur die Wahlprogramme gefüllt werden sollten. Die Optimisten ließen sich auf den Prozess ein. Wo liegen unsere Stärken und Schwächen? Was braucht Wörgl, um ein lebenswerter Ort auch für kommende Generationen zu sein? Ermuntert von der Stadtführung wurden Arbeitskreise zu Schwerpunkten wie Verkehr, Raumplanung, Integration, Kultur, Sport und Freizeit, Wirtschaft, Landwirtschaft oder Umwelt gegründet sowie Projekte ausgearbeitet. Als deren Präsentation drei Monate nach der Wahl bevorstand, kam der Rückzieher seitens der Stadt: Alles zurück in die Schublade, erst einmal ein Leitbild erarbeiten! Zur weiteren »Bürger-Zermürbungstaktik« zählte dann, die Arbeitskreise mit Bürokratie und Organisationsstrukturen zu beschäftigen.
Manche Arbeitsgruppen warfen das Handtuch, andere machten trotzdem weiter – auch mit Mitgliedern des Gemeinderats. In ihren Reihen war auf Initiative des Unterguggenberger Instituts, das sich der Öffentlichkeitsarbeit zum Wörgler Freigeld von 1932/33 widmet, auch die Gruppe Regionalentwicklung, welche die Schaffung einer Komplementärwährung anregte. Die Geschäftswelt – in der Einkaufsstadt dominieren internationale Konzernketten – zeigte jedoch wenig Interesse an Regiogeld, weshalb sich die Gruppe der Frage widmete, wo denn im Stadtleben ein Defizit bestehe und eine Komplementärwährung belebend wirken könne. Schnell war klar: Für die Jugend soll ein sinnvolles Freizeitangebot geschaffen werden! Aber wie lockt man sie hinter dem Bildschirm hervor und interessiert sie für soziales Engagement? Über eineinhalb Jahre bastelte der Arbeitskreis ehrenamtlich mit bis zu 30 Personen an einem solchen Projekt. An Wörgler Schulen wurde rund 1000 Jugendlichen die Frage gestellt: »Wollt ihr mitmachen – wenn ja, was wollt ihr tun und was dafür bekommen?« Als Anreiz, sich einzubringen, sollte ein Gutscheinmodell dienen: Die Jugendlichen sollten Zeitwertkarten für ihre Tätigkeiten erhalten, die sie dann gegen Einkaufsgutscheine und Gutscheine für Freizeit- und Sporteinrichtungen wie Kino oder Schwimmbad einwechseln könnten. Die Gruppe bestand darauf, dass die Stadt als Projektträger auftete und dafür eine sozialpädagogisch ausgebildete Teilzeitkraft einstellt. Das stieß beim Bürgermeister zunächst auf Ablehnung. So führte der nächste Weg in den Fachausschuss, dem das generationsübergreifende Jugendprojekt detailliert präsentiert wurde. Damit war der Gemeinderat überzeugt. Im Herbst 2005 wurde das »I-Motion« getaufte Projekt mit einem großen Fest begonnen. Der rege Zulauf der Jugendlichen machte es drei Jahre später zur festen Einrichtung der städtischen Jugendarbeit. Die Initiative blieb nicht allein. Das Bürgerengagement sorgte für Sensibilisierung in diesem Bereich, denn nun schlugen auch die Gemeinderatsfraktionen Jugendthemen vor: Streetworker und ein Koordinator zum Aufbau eines Jugendbeirats wurden angestellt, mit dem »InfoEck« entstand eine bezirksweite Beratungsstelle, und auf Drängen des Beirats wurde schließlich ein Jugendzentrum eingerichtet.
Junge helfen Alten und Jüngeren Die Lokale Agenda 21 lieferte auch Grundlagen für die Integrationsarbeit: In Wörgl leben Menschen aus 56 Nationen; in Kindergärten und Volksschulen liegt der Anteil der Kinder mit nicht-deutscher Muttersprache mittlerweile über der Hälfte. Jugend-, Integrations- und Gemeinwesenarbeit – da überschneidet sich vieles. Um Synergien zu nutzen und den Arbeitsbereich über die Stadtgrenzen hinweg auszudehnen, schlossen sich 2012 drei Einrichtungen aus diesen Bereichen zum Verein »Komm!unity« zusammen, darunter auch I-Motion. Heute beschäftigt der Verein 15 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter; er betreibt vier Standorte in Wörgl, Regionalstellen in Kufstein und Kitzbühel sowie Jugendtreffs in den Nachbarorten Söll und Bad Häring. »Seit Gründung des Netzwerks wurden von den jungen Leuten über 17 000 Stunden in verschiedensten Bereichen abgeleistet«, erklärt Komm!unity-Geschäftsführer Klaus Ritzer. Jugendliche zeigen Senioren den Umgang mit Computern, versorgen Haustiere der Nachbarn, sind in der Stadtbücherei ebenso im Einsatz wie bei Veranstaltungen im Catering. Sie helfen bei der Betreuung von Kleinkindern im Kinderhaus oder beim Organisieren von Sommerfesten. Die Finanzierung von Komm!unity erfolgt großteils durch Subventionen von Stadt, Land und Umlandgemeinden. Außerdem fanden von der EU geförderte Projekte, wie »Lerne deine Stadt kennen« und »Just do it – but different« statt. Bei Letzterem ging es um die Nutzung des öffentlichen Raums. Aktuell erarbeiten Jugendliche aus Wörgl und Brunneck in Südtirol eine Antirassismus-Kampagne. Bei solchen Aktionen mitzumachen, heißt, selbst etwas umzusetzen, statt nur zu fordern. Das funktioniert und belebt die Stadt: Mit viel Engagement betreiben junge Leute etwa ehrenamtlich die »KulturZone«, ein Kulturprogramm im Jugendzentrum für Jung und Alt mit Konzerten, Poetry Slams oder dem Wörgler Kurzfilmpreis, bei dem das heimische Filmschaffen im Zentrum steht.
Beteiligung hat Folgen Bürgerbeteiligung stellte sich in Wörgl trotz anfänglicher Schwierigkeiten als Erfolgsmodell heraus. Von den ursprünglichen Strukturen der Lokalen Agenda 21 ist zwar nicht mehr viel übrig, aber aus den Impulsen ist viel Gutes hervorgegangen. Erwähnenswert im Bereich Integration sind die Projekte »haus.gemein.schaf(f)t« zur Verbesserung der Beziehungen zwischen Nachbarn in konfliktreichen Wohnvierteln und »natürlich.gemeinsam« mit 60 gemeinsam von Einheimischen und Zugewanderten organisierten Veranstaltungen. Heute gibt es im Vergleich zur Situation vor zehn Jahren deutlich mehr Vernetzung in der Stadt – zum Beispiel durch den Kulturstammtisch, der seit 2010 vierteljährlich alle Kulturinteressierten und Vertreter der rund 40 Kulturvereine zusammenbringt. Diesem Vorbild folgt seit mehr als einem Jahr der Wörgler Sozialstammtisch für die rund 60 in der Stadt tätigen Sozialeinrichtungen und Initiativen. Auf Bürgerbeteiligung setzen auch die Wörgler Stadtwerke, die bis 2025 die Wärme- und Stromversorgung weitgehend auf lokale, erneuerbare Energieträger umstellen wollen. Die Stadtwerke sind Eigentum der Stadt und leisten Dienste bei Energie, Wasser, Abwasser, Internet etc. Die Wörgler »Sonnenscheine« sind ein Bürgerbeteiligungsmodell, bei dem Stromkunden ihren Sonnenstrom 20 Jahre im Voraus bezahlen – durch Anmietung der Kollektorfläche ohne Preissteigerungsrisiko. Die Stadtwerke haben damit Bargeld für den Ausbau der Sonnenparks. Im Jahr 2013 führte das Wörgler Stadtmarketing mit der »Energy.Card« ein elektronisches Zahlungsmittel ein. Wer damit in der Region einkauft, sammelt Rabatte. Die Karte ist so angelegt, dass darauf auch jederzeit Komplementärwährungen – etwa Zeitwährungen wie I-motion – eingerichtet werden können. All dies sind gute Voraussetzungen, um in Wörgl wieder eine Regionalwährung einzuführen. Aber das ist noch Zukunftsmusik. •
Veronika Spielbichler (51) ist freie Journalistin und Redakteurin sowie Obfrau des Unterguggenberger Instituts Wörgl e. V. Sie leitet unter anderem die Projektgruppe »I-Motion«.