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Traumland (Buchbesprechung)

von Matthias Fersterer, erschienen in Ausgabe #8/2011
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»Island, du hast es besser«, so könnten Wildnis- und Wellnesstouristen sowie Liebhaber von Sagas und Songs isländischer Dichter und Musiker einst gedacht haben: Dort, wo kauzige Trolle, schräge Popmusiker und drollige Papageientaucher hausen, wo es, gemessen an der Einwohnerzahl, die höchste Schriftstellerdichte der Erde gibt und wo Trinkwasser und erneuerbare Energiequellen in Hülle und Fülle vorrätig sind, ja, dort schien die Welt noch in Ordnung. Aber das war einmal. Seit sich internationale Aluminiumkonzerne mit Unterstützung der Regierung auf Island ansiedelten und gigantische Staudämme und Aluminiumhütten errichteten, sind die letzten großflächigen Wildnisgebiete Europas samt den klimaregulierenden Gletscherflüssen und seltenen Tier- und Pflanzenarten massiver Bedrohung ausgesetzt.
»Was bleibt, wenn alles verkauft ist?«, fragt Andri Snær Magnason in »Traumland«, seinem augenzwinkernden Krisenlogbuch, das zur Fibel des isländischen Protests gegen Wachstumswahn und Naturvernutzung wurde. Mal mit heiterem, mal mit galligem Humor erzählt der Autor, Aktivist und Konzeptkünstler in ungezwungenem Plauderton, wie sich die Isländer binnen weniger Jahrzehnte von der Agrar- über die Industrie- zur Krisengesellschaft wandelten. »Warum sollte eine Nation, die in der Lage ist, all ihre Bedürfnisse zu befriedigen, ganze Gegenden von weltweit einmaliger Naturschönheit opfern, nur für irgendeinen wirtschaftlichen Erfolg?«, fragt Magnason. Man hätte nicht bis zur Finanzkrise 2008 warten müssen, bei der große Teile des isländischen Staatsvermögens verpufften und die Insel nur knapp dem Staatsbankrott entrann, um eine Antwort auf diese Frage zu finden und zu erkennen, dass man Geld ebensowenig essen kann wie heiße Luft oder Wirtschaftsblasen. Schrecklich-schöne Bilder von gefluteten Tälern und mit Strommasten gespickten Hochebenen liefert der gleichnamige Film (www.dream­land.is), der erfolgreich auf Filmfestivals läuft.
Die »Zähmung der Maschine« steht aus. Auch fünf Jahre nach der Originalausgabe von »Traumland« stottert die globale Wachstumsmaschinerie weiter und ebenso der Kampf um die isländische Natur: Man kann unmöglich nur einen Staudamm und nur eine Aluminiumhütte bauen, schreibt Magnason, »man muss immer weitermachen, […] um das System am Laufen zu halten.« Darin hält die kleine Insel im Nordatlantik der Welt einen Spiegel vor. Die Frage »Geld oder Leben?« stellt sich nicht nur den Isländerinnen und Isländern, sie stellt sich tagtäglich, überall auf der Welt.


Traumland
Was bleibt, wenn alles verkauft ist?
Andri Snær Magnason
orange press, 2011, 320 Seiten
ISBN 978-3936086539
22,00 Euro

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