Titelthema

9 (Fazit)

von Der Schwarm, erschienen in Ausgabe #40/2016
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Beim Schreiben unserer acht ­Kapitel und bei unseren Beratungsrunden zur Zukunft von Oya saßen wir fast immer im Freien – in der Nähe der Gemüsebeete und Bäume, der Schafe, Gänse, ­Hühner und der ungezähmten Vögel allüberall. Ein Starenschwarm hat uns dabei besonders lebhaft begleitet. Entweder krakeelte er – gewaltig futternd – in einem der Obstbäume, oder er formte Wolken hoch über unseren Köpfen. Mag sein, dass es in Wirklichkeit mehrere Vogel­züge gewesen sind – der Einfachheit halber ist es für uns »der Schwarm« geworden. Er weckte in uns Bilder von Synchronizität, Empfindungen von Übereinstimmung im Ungesagten, Ahnungen von Gleichklang ohne Gleichschaltung, und er weckte Gefühle des Zu-Hause-Seins: Die Stare bewohnen die sommerlichen Gärten des Dorfs so selbstverständlich, wie es das Gras und die Bäume tun.
»Geh nach Hause, und kümmere dich um die Bienen!« – Das war der erste Rat, den wir auf unserer Nachdenk-Reise bekamen. Noch haben wir ihn nicht in aller Tiefe ergründet. Wenn der Weg in eine Kultur des guten Lebens* »nach Hause« führen soll – ist damit eine Verwurzelung gemeint, die wirksames Handeln vielleicht erst ermöglicht? Es liegt etwas Tröstliches in diesem Rat – die ­Ahnung, dass es inmitten dieser rasenden Welt ein Zuhause gibt.
»Komm zur Ruhe!« »Atme aus!« »Geh zu den Wurzeln und lerne, dass sie beständig absterben!« »Geh schlafen!« – Wir wollen diese Botschaften nicht »auswerten«. Wir tragen sie in uns durch die Tage. Klar ist: Es geht nicht darum, das Projekt Oya einschlafen zu lassen! Was sterben oder losgelassen werden will, sind vielmehr Muster, die uns vom Wesentlichen abhalten. Was etwa bewirkt ­jenes Gefühl des Ungenügens, das uns bisher verfolgt hat, 4250 Abonnements bedeuteten »zu wenige« zahlende ­Leserinnen und Leser? Kaufmännisch gesehen, mag das stimmen. Doch können wir statt Mangel die Fülle sehen und fühlen: Die­jenigen, die da sind, sind die Richtigen!? Was wollen wir miteinander tun?
Mit Silke Helfrich haben wir in Kapitel 8 den Gedanken eingefangen, wie es wäre, Oya nach dem Modell einer solidarischen Landwirtschaft zu organisieren. Eine SoLaWi besteht nicht aus ­Erzeugern und Kunden, sondern aus Menschen, die sich eine Ernte teilen und auf verschiedene Weise zum Ermöglichen dieser Ernte beitragen. Sie nehmen sich die Freiheit, sich so zu organisieren, wie es ihnen entspricht. Und der Gedanke, uns diese Freiheit auch in Bezug auf Oya zu erlauben, wirkt wie ein Lichtschein, der aus einer sich öffnenden Tür dringt. Wer sagt denn, dass Oya immer so auszusehen hat, wie sie es nun 39 Ausgaben lang getan hat? Können wir mit ­unseren Leserinnen und Lesern über Formen nachdenken, die ­ihnen, uns und dem Zeitgeist mehr entsprechen? Muss sie wirklich immer gedruckt werden – oder kann Oya auch mal an Hunderten von Orten in Form von Zusammenkünften stattfinden?
Doch gemach! Nichts überstürzen! Ausatmen, ankommen, ­Lassenskraft* entwickeln! Können wir mehr tun, als Fragen zum Klingen zu bringen? Es ist verführerisch, in einem Nachwort spannende Zukunftspläne auszubreiten. Aber es geht uns nicht darum, unser Publikum zu unterhalten.
Während der Arbeit an den acht Kapiteln unseres Reiseberichts verstärkte sich das Gefühl, Oya könnte tatsächlich mehr als eine Zeitschrift sein. Die bedruckten 100 Seiten sind nur ein sichtbarer Zipfel von etwas anderem, etwas Größerem – ja, wovon? Oya als virtuelle, nicht-ortsbezogene Gemeinschaft erschiene uns zu beliebig, und manche Leserinnen und Leser würden dies ­womöglich als vereinnahmend empfinden. Aber was dann ist dieses ­Größere? Eine Denkwerkstatt? Eine soziale Bewegung? Eine Bewegung ­wohin? Und wofür oder wogegen? Die bestehenden Begriffe tragen nicht das, was wir ahnen, wenn wir in das Potenzial von Oya als ­Allmende* hineinspüren. Allmenden sind keine Räume von Beliebigkeit, sie haben klare Strukturen und Regeln. Diese bilden sich nicht in der Theorie, sondern entlang praktischer Erfahrungen.

Der Sommer neigt sich dem Ende zu. Der Schwarm beginnt, sich zu sammeln. Flugs und elegant schraubt er sich, an Unendlichkeitszeichen erinnernd, in fluiden Mustern in die Höhe. Probt er für den großen Zug nach Süden? Oder feiert er nur die laue Luft? Wir ­wissen es nicht. Wir sehen den Ausdruck seiner Lebendigkeit*. Er tut das Naheliegende. •••

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