Theresa und Reinhild sind alleinerziehende Mütter aus zwei Generationen.von Charlotte Selker, erschienen in Ausgabe #63/2021
In Oya 61 sprachen Anja Marwege und Maria König mit Almut Birken und Nicola Eschen über ihr Buch »Links leben mit Kindern«. Darin wird gefragt, wie feministische Werte in linken Zusammenhängen realistisch gelebt und täglich angezettelt werden können: »Patriarchat auflösen! Kleinfamilie überwinden! Reproduktionsarbeit teilen! Care Revolution!« In dem Buch werden Geschichten des Scheiterns und Suchens erzählt. Lola Franke hatte die Idee, mit ihren alleinerziehenden Freundinnen über ihre Erfahrungen zu Lernen und Mutterschaft zu sprechen.
Wir verabredeten uns online mit Theresa, die einen sechsjährigen Sohn hat, und Reinhild, deren Sohn 26 Jahre alt ist. Die beiden Frauen aus verschiedenen Städten kannten sich noch nicht. Wie würden die beiden auf Muttersein und Lernen schauen? Wir hatten vorher noch zwei andere Alleinerziehende, die beide als Selbstständige arbeiten und sich bei der Geburt ihrer Kinder noch in Ausbildung befanden, um ein Interview gebeten. Die beiden konnten es nicht einrichten, daran teilzunehmen, da ihnen das Jonglieren mit Bedürfnissen, -Finanzsorgen und Isolation gerade über den Kopf wächst.
Am 14. März, dem englischen Muttertag, wie ich von meiner eigenen, in England lebenden Mutter weiß, sitze ich an diesem Artikel. Er berührt mich, da mir durch die Berichte der beiden Mütter das Erleben meiner eigenen Mutter verständlicher wird.
»Alleinerziehend« – eine passende Bezeichnung?
Theresa ist 28 Jahre alt, lebt und studiert in einer Stadt in Hessen. Reinhild ist 57 Jahre alt und wohnt in Berlin. Sie arbeitet teils angestellt, teils freiberuflich als Kulturwissenschaftlerin sowie als Creative Producerin beim Film und macht zudem gerade eine Ausbildung zur Gestalttherapeutin.
Beide befinden bzw. befanden sich in den ersten Jahren ihrer Mutterschaft in einer institutionellen Lernsituation, fühlen sich damit aber unterschiedlich. So berichtet Reinhild am Anfang unseres Gesprächs: »Ich kann mich gut mit dem Begriff ›alleinerziehend‹ identifizieren. Es ist ein wichtiger Teil meiner Biografie. Es war wirklich so, dass ich allein war und ich konnte mir schnell ein Netzwerk aufbauen. Trotzdem war ich komplett allein verantwortlich, was ich deutlich als Gewicht auf meinen Schultern gefühlt habe«. In ihrer letzten Bewerbung auf eine wissenschaftliche Stelle hat sie den Begriff sogar bewusst verwendet. Sie findet es wichtig, sich darin zu zeigen, da der Status »alleinerziehend«, der zum Großteil auf Frauen zutrifft, nicht allein persönliches Schicksal, sondern ein Politikum ist und daher alle Bereiche der Biografie mit prägt.
Theresa hingegen benutzt das Wort eher nicht. Eine Freundin brachte sie auf die Bezeichnung »Ein-Elter-Familie«. Das sagt sie lieber, da sie nicht das Gefühl hat, dass sie und ihr Sohn als Familie nicht komplett seien.
Muttersein ist auch eine Ausbildung
In der Vorbereitung auf das Gespräch fragten Lola und ich, die beide keine Mütter sind, uns, ob Mutterschaft auch eine Art Ausbildung sei. Ist es für die beiden Mütter so, als würden sie zwei Ausbildungen gleichzeitig machen?
Theresa fühlte sich in den ersten Jahren als Mutter wie in zwei Welten. »Ich bin mit 22 Mutter geworden und auch jetzt haben noch viele meiner Freundinnen keine Kinder. Viele Menschen an der Uni wussten nicht, dass ich Mutter bin, und das fand ich oft seltsam. Es war auch schwer, andere Mütter als Freundinnen zu finden. Gerade in Bezug aufs Unterwegssein, das für viele an der Uni normal war, habe ich mich nicht so flexibel gefühlt.«
Für Reinhild war die Mutterschaft eine Zeit des Lernens und neben aller Freude auch eine demütige Aufgabe, weil vor allem in den ersten Jahren die Bedürfnisse des Kinds an erster Stelle standen. Die große Betreuungsaufgabe schloss in gewissem Maß immer auch Verzicht ein: an Spontaneität, Flexibilität, Bewegungsfreiheit.
Vielseitig behütet
Gerade während der Studiums- und Arbeitszeiten sind und waren die beiden froh über ihr soziales Netz. Theresa beschreibt, dass ihr Krippe, Kindergarten und Freundschaften beiseite standen. Wenn sich etwas im Tagesablauf änderte, musste sie oft neue Lösungen und Menschen finden. »In den ersten Jahren war es toll, dass es so viele befreundete Studierende gab, die Zeit hatten, sich mit mir mitsamt Baby zum Mittagessen zu treffen. Nun ist mein Netz recht gemischt: Es gibt Bekannte mit ähnlich alten Kindern, und mein Sohn ist bei einer Nachmittagsbetreuung, zu der er nicht gerne hingeht, was mich herausfordert.«
Reinhild wurde mit 30 Jahren schwanger, zu einem Zeitpunkt als ihre Freundinnen noch keine Kinder hatten.Sie fing gerade an, an ihrer Dissertation zu -schreiben, und bekam ein Stipendium. Im Kolloquium wussten alle, dass sie ein Kind erwartete, und es kam nicht zu einem Gefühl der Zweiteilung. »Ich war mit einem feministischen Thema über die ideologischen Seiten von Mutterschaft beschäftigt und konnte meine persönlichen Erfahrungen gut einordnen.«
In Berlin gab es für Reinhilds Sohn zunächst eine Tagesmutter, dann den Kinder- und Schülerladen, darüber hinaus den Freundeskreis. Die Großeltern waren gern an den Kolloquien-Wochenenden für das Kind da.
Muttersein entspannt
Reinhild prostet uns über die Kamera mit einem alkoholfreien Bier zu und überlegt, inwiefern sie sich durch das Muttersein verändert hat. Zwar musste sie gut organisiert sein mit ihrem Job und mit spontanen Aufgaben, wie ein Kostüm zu nähen oder einen Kuchen zu backen, doch war es eher die Alltagsorganisation, die sich ändern musste, als sie selbst: »Wenn ich etwas schaffen wollte, musste ich eine Struktur finden. Es war ein kleiner Schock, als die Schulzeit begann und ich mich dem Rhythmus anpassen musste, den ich schon als Schulkind nicht mochte! Ich habe abends noch viel machen wollen, was ich tagsüber nicht geschafft habe. Ich hatte auch Zeit mit Freundinnen, oft bei mir zu Hause, aber ich war viel beschäftigter als vorher.«
Kurz läuft ihr Sohn durchs Bild und winkt in die Kamera. Reinhild blickt lächelnd auf ihre Promotionszeit zurück: »Für mich war es – weil ich eben nicht all meinen Sinn an der Promotion bemessen habe – hilfreich, dass ich mir die Schreibzeit frei einteilen konnte. Sie war an zweiter Stelle. Es war mir wichtiger, dass es meinem Kind gut geht. Weil ich nicht all meinen Sinn an der Promotion bemessen habe, hatte ich weniger Stress als manche Kolleginnen ohne Kinder, die auch nicht schneller fertig wurden. Wenn mein Sohn zu Hause war, habe ich nicht an der Arbeit gesessen, und letztendlich hat die Mutterschaft meine Situation mit der Ausbildung in manchen Aspekten sogar entspannt.«
Theresa ging es ähnlich mit ihrem Bachelor. Gerade ist sie im Masterstudium. Sie hatte die Möglichkeit, recht langsam zu studieren, stellte sich aber schon früh die Frage, welche Arbeit sie wo überhaupt annehmen könnte, da sie mit Kind gebundener war. Der Weg des Studiums führt sie also in einen Beruf, doch ihre Mutterschaft sieht sie ebenfalls als Beruf an: »Mutter- oder Elternsein ist für mich ein schöner Beruf, weil es nicht darum geht, eine Leistung zu erzielen, sondern darum, einfach dazusein.«
Ein Leben lang alleinerziehend
Ungefähr 20 Prozent aller Kinder in Deutschland wachsen mit einem alleinerziehenden Elternteil auf. Circa 90 Prozent davon sind Frauen, von denen etwa die Hälfte keine oder nur wenig Unterhaltszahlungen vom anderen Elternteil bekommen. Stattdessen gibt es staatliche Unterhaltsvorschüsse bis zum 18. Lebensjahr. Vor ein paar Jahren gab es einen solchen Vorschuss nur bis zum 12. Lebensjahr. Dafür musste jedoch nachgewiesen werden, dass das andere Elternteil nicht zahlungsfähig ist - gegebenenfalls kann es auf Unterhalt verklagt werden.
Ein Thema beschäftigt Reinhild gerade besonders. Sie sagt, dass sie sich ihr Leben lang alleinerziehend fühlt, da diese Zeit noch Auswirkungen bis ins Rentenalter hinterlassen wird, und sie spürt diesen Status auch in Bezug auf ihre finanzielle Sicherheit: »Jetzt, wo ich langsam auf die Rente zugehe, bemerke ich, dass die Altersarmut bei Frauen generell und noch mehr bei alleinerziehenden sehr hoch ist.«
In der Zeit der Ausbildung war das Problem noch am geringsten; schwieriger wurde es, als sie berufstätig wurde, und es darum ging, Rücklagen zu schaffen und vorzusorgen. Befreundete Paare haben sich währenddessen in Baugruppen zusammengeschlossen und Sparverträge angelegt. Reinhild macht sich Gedanken, wie es in zehn Jahren aussehen wird. »Auch deswegen habe ich mich entschieden, noch eine Ausbildung zur Gestalttherapeutin zu machen, um neben der Rente noch arbeiten zu können.«
Theresa merkt, dass sie nach unserem langen Gespräch müde ist, möchte aber noch betonen, dass die Zeit während der Ausbildung auch insofern herausfordernd war, weil sie mitunter lange auf Geld warten musste. Andererseits hatte sie als Studentin Sonderrechte, die ihr gewisse Entlastungen gewährten, zum Beispiel im Hinblick auf BAföG, Kinderbetreuung und die Semesteranzahl der Regelstudienzeit.
Reinhild erwähnt am Ende unseres Gesprächs, dass es für sie zwei Ebenen gibt, auf denen sie sich dem Thema annähern kann: »Wenn ich nach meinem Gefühl gefragt werde, spreche ich positiv darüber, weil ich die Zeit als Mutter genossen habe und genieße. Wenn ich das Ganze politisch betrachte, auf die Zuschüsse und Rente schaue, macht es mich oft auch wütend, wie sehr das Kleinfamilienmodell bevorzugt wird und wie gering die Wertschätzung für Sorgearbeit ist.«
Unser Gespräch bringt mich zum Nachdenken über eine enkeltaugliche Welt: Wie hüten wir Kinder gemeinsam und tragen Verantwortung? Wie und wann bilden wir uns weiter? In unserer Gesellschaft sind die beiden Bereiche klar geteilt. Ich nehme eine Angst wahr, mit einer Mutterschaft keinen Anschluss ans Lernen und Wirken mehr zu haben. Doch in meiner Utopie werden Lernen und Familie nicht als getrennte Bereiche gesehen, sondern vertraute Menschen allen Alters lernen an offenen Lernorten und hüten Kinder miteinander, weil sie Lust darauf haben, es sinnstiftend für sie ist und sie gerne kooperieren. So stelle ich mir einen verbundenen Raum des gemeinsamen Hüten und Wirkens vor. //