Commonie

Mehr Einfälle, als Zeit abfällt

In Oya Ausgabe 6 vom Winter 2010/11 fand sich auch mein kurzer Beitrag über Christian Kuhtz, den Tüftler hinter den »Einfälle statt Abfälle«-Heften. Diese Bauanleitungen haben in den mit Oya verbundenen Szenen seit Jahrzehnten weite Verbreitung gefunden. Chris­tians Forschergeist scheint heute rege wie eh und je.von Jochen Schilk, erschienen in Ausgabe #59/2020
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© privat

1976 hatte der Kieler Christian Kuhtz an den Protesten gegen das AKW Brokdorf teilgenommen und bald – als Beitrag für eine Alternative zur Atomenergie – erste Instruktionen für den Selbstbau -kleiner Anlagen zur dezentralen Erzeugung von Windstrom herausgegeben. Es folgten seither rund 20 weitere, hand- bzw. schreibmaschinengeschriebene und mit technisch-künstlerischen Zeichnungen illustrierte Hefte, deren neueste Folgen noch immer die handgestrickte Alternativ-ästhetik der frühen 1980er Jahre widerspiegeln.

Meine Erinnerung an die Entstehung jenes Oya-Artikels von 2010 ist allerdings getrübt von einem peinlichen Versehen: Der letzte Korrekturleser vor Drucklegung hatte eigenmächtig den angegebenen Link zur Homepage für den Bezug der Einfälle-Hefte gegen einen plausibler klingenden Link ausgetauscht – der jedoch geradewegs zu einer Seite von Raubdruckern führte! Natürlich hatte Christian mir eingeschärft, keinesfalls diesen Link anzugeben.

Beim neuerlichen Telefonat mit ihm erfahre ich nun, dass die betrügerischen Machenschaften erst vor gut einem Jahr durch die Staatsanwaltschaft gestoppt werden konnten. Auf der zuletzt eingerichteten Website wurden die Kaufwilligen zur Vorkasse aufgefordert. »Die haben gar nicht mehr raubgedruckt, die haben nur noch kassiert«, empört sich Christian. »Die Beschwerden der betrogenen Kunden landeten dann bei mir. Dadurch hat mein Ruf massiv gelitten – ganz abgesehen davon, dass die Umsätze mit den Heften in den letzten Jahren immer weiter gesunken sind. Ausgleichend habe ich vermehrt Workshops gegeben – und das hat ja auch eine ganz eigene Qualität, so direkt und persönlich Wissen und Fertigkeiten zu vermitteln.« 

Die Kurse werden von interessierten Menschen organisiert; es gibt zahlreiche Anfragen. Mit den Einnahmen finanziert Christian manchmal auch Gratisworkshops im Rahmen von Klimacamps, eine Bewegung, in der er jetzt »gerne zu Hause« ist. In Pödelwitz bot er etwa den Kurs »Fahrradschrauben und Lastradbau« an. »Wir haben da 2019 ein schönes Camp-Lastrad konstruiert und einen Tretgenerator, wie er für Fahrradkinos oder die Versorgung von Camps benutzt wird. Dieser beruht auf einem alten Waschmaschinenmotor mit Dauermagneten. Kurzfristig lässt sich damit sehr viel mehr als 60 Watt erzeugen, über mehrere Stunden kommt man auf 60 Watt – genug für rund 20 LED-Lampen.« Der von ihm 2013 gebaute Generator des Kieler Fahrradkinos basiert auch auf dieser Machart. Andere Tüftler verwenden gerne Lichtmaschinen aus Autos, doch die haben keine Dauermagneten – laut Christian ein großer Nachteil: »Da muss man, um das Magnetfeld zu erzeugen, erst einmal kräftig strampeln. Und erst wenn man noch wilder strampelt, kommt ein bisschen nutzbarer Strom heraus.« Die alten Waschmaschinenmotoren verwendet er auch für die Langsamlauf-Windräder. »Weil sie mittlerweile kaum mehr zu finden sind, bunkere ich, was ich kriegen kann.«

Seit dem Klimacamp bekommt Christian zahlreiche Anfragen für Lastenradbau-Workshops, darunter auch von der TU Dresden. Zuletzt begleitete er den Bau eines pedalgetriebenen Wohnmobils (siehe Foto) – die, Zitat, »Holz-Biomüsli-selbstgestrickt-und-ohne-Schweißen-Variante« eines Modells, das er bereits Anfang der 1980er Jahre konstruiert hatte. Andere beliebte Themen seien bislang etwa der Selbstbau von Sonnenkollektoren und Windrädern oder »nette Sachen« wie Körbchenflechten und Tonflöten-Töpfern gewesen. Christian: »Im Aufbau befindliche alternative Projekte können oft bestimmte Dinge gebrauchen, wie etwa Grundöfen. Für selbstgebaute Öfen muss man aber jetzt einen riesigen Wust an Berechnungen anstellen. Die Industrie hat da offenbar für neue Vorschriften gesorgt, um das Individuell-Handwerkliche auszubremsen. Selbst Ofenbauer verwenden jetzt eher die teureren Bausätze mit Genehmigungs-Siegel, um den Rechenaufwand zu ver-meiden.«

Hat Christian in den vergangenen zehn Jahren Hefte zu neuen Themen herausgebracht? Er verneint, aber viele Anleitungen habe er nun aktualisiert und erweitert. So hat er 2018 das Heft über Komposttoiletten ganz neu geschrieben. »Ich gehe die Planung für ein Klo jetzt viel systematischer an. Das alte Heft zeigte Modelle, die auf Zufallsfunden beruhten. Jetzt greife ich auf 1000-Liter-Container oder, besser noch, auf die hohen, alten Heizöltanks aus Plastik zurück, deren Volumen ganzjährig für eine fünfköpfige Familie reicht.« Dazu beinhaltet das Heft nun auch Anleitungen für den Bau von Festival-Kompostklos, für die dann eine externe Rottemiete anzulegen ist. Zudem hat Christian das kleine Heft über den Windradbau um einen Bauplan mit Motoren aus weggeworfenen PC-Druckern erweitert, weil die »besser sind als Fahrraddynamos«. Und überhaupt das Thema Fahrrad: »Da ist ja die Technik der neueren Modelle sehr viel empfindlicher, störanfälliger, komplizierter und dadurch weniger reparierbar geworden. Aber es ist interessant, zu wissen, was doch reparabel ist und welche Zubehörteile ich mir besser nicht anschaffen sollte. Entsprechend ist das ›Rad-kaputt‹-Heft jetzt ein dickes Buch geworden.« Auch die Hefte über Solarstrom und Windräder seien im Umfang gewachsen. »Die Ofen-Hefte müssten wegen der neuen Berechnungsvorschriften eigentlich nochmals aktualisiert werden«, stöhnt der Meister und fährt mit seiner Aufzählung fort: »Das -Sonnenkollektor-Heft ist praktisch komplett neu, weil ich auch da einfachere und bessere Bauweisen fand. Ein zweites Heft für ›größere‹ Sonnenkollektor-Anlagen ist zu zwei Dritteln fertig.« Christian hofft, »demnächst mal dazuzukommen, das fertigzumachen«.

Der Mann ist jetzt 62, seine beiden Kinder sind flügge, und er sprüht vor Ideen und Selbermach-Tatendrang. »Statistisch gesehen, kann ich noch ein paar Jahre lustige Sachen ausprobieren«, lacht er. »Ich habe noch unglaublich viele bewährte Pläne in der Schublade, die es wert wären, darüber Hefte zu schreiben, aber vor lauter Workshops und praktischen Aktionen komme ich nicht dazu. Jetzt wäre etwa der ideale Zeitpunkt für ein neues Lastenrad-Heft; großartige Modelle aus alten Ausgaben baue ich jetzt ohne Schweißen, die sind viel einfacher und besser!« Offenbar optimiert Christian Düsentrieb seine Erfindungen schneller, als er die Anleitungen aktualisieren kann. Vielleicht wäre die Selbst-Klonung in der Garage ein lohnenswertes Thema für ihn. Wer soll sonst die »mindestens 20 Kladden« fertigproduzieren, die in seiner Schublade liegen und sich etwa mit Windrad-Wasserpumpen, dem Bau von Erdkellern, der Lagerung von Obst- und Gemüse, mit alternativer Waschtechnik oder dem Nähen von Schuhen befassen? //

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Oya im Ohr
Diesen Beitrag gibt es auch als Hörstück.

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